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"Million Dollar Baby" in der SZ Cinemathek:Immer auf die Fresse

Lesezeit: 5 min

Geh dem Schmerz entgegen, Liebling! Clint Eastwoods oscarprämierter Boxerinnenfilm erzählt auf wunderbare Weise vom Kampf gegen das Unausweichliche.

Von Susan Vahabzadeh

Ein Spiel von Licht und Schatten, es gibt keine Helligkeit, die ungebrochen bliebe ... Das gilt für viele Filme von Clint Eastwood, aber es war nie wahrhaftiger, hatte nie mehr Tiefe als in "Million Dollar Baby", in dem sich die Menschen ganz langsam und ruhig aus dem Leben verabschieden, so wie man ins Dunkel abgleitet.

Es tut weh, ihnen dabei zuzusehen, und wahrscheinlich hat es weh getan, davon zu erzählen.

"Statt vor dem Schmerz zu fliehen, was jeder vernünftige Mensch tun würde", heißt es einmal in dem Film über das Boxen, "gehst du ihm entgegen."

Warum nur ist der alte Mann so traurig? Eastwood hadert seit ein paar Filmen mit seinem Gott, den es vielleicht nur gibt, damit man noch um ein Wunder flehen kann, wenn das Schicksal längst schon unumkehrbar ist.

Frankie Dunn, den Eastwood spielt in seinem "Million Dollar Baby", geht jeden Morgen in die Kirche, aber sie bleibt ein Grabmal Gottes. Er betet dauernd und findet im Glauben weder Trost noch Zuflucht.

Dunn provoziert seinen Priester gern - Hey, ich hätte da noch ein paar Fragen zur Unbefleckten Empfängnis! -, aber der wird ihm in den entscheidenden Fragen ohnehin alle Antworten schuldig bleiben.

Eastwood hat für "Baby" die Form eines Boxer-Films, eines Boxerinnen-Films sogar, gewählt, er erzählt vom Kampf gegen das Unausweichliche - das hat er vielleicht immer schon getan, aber er hat noch einmal an Kraft und an Konzentration gewonnen in den letzten Jahren, erfindet sich selbst und seine Geschichten noch einmal neu.

Dieser Film erspart einem gar nichts; natürlich ist es dem Regisseur Eastwood bewusst, dass es automatisch noch ein bisschen härter, noch ein bisschen schonungsloser wirkt, wenn zwei Mädchen einander die Fresse polieren.

Aber die Emotionen sind noch schwerer zu ertragen; Dunn verliebt sich, aber nicht, wie man sich in eine Frau verliebt.

Es ist eine väterliche Liebe, absolut rein, sie verlangt nichts zurück und will vollkommen sein.

Ein Zauderer ist Frankie Dunn, einer, der seine Schützlinge nur ungern in den Ring hineinlässt, besonders nicht, nachdem ein Kampf zu viel seinen Freund Eddie (Morgan Freeman) ein Auge gekostet hat.

Dunn nimmt nicht mehr wirklich teil am Leben, will sich auf nichts Neues mehr einlassen - außer Gälisch lernen vielleicht -, will keine neuen Kämpfe mehr ausfechten.

Man sieht ihn in einer Szene, wie er im Dunkeln sitzt vor dem Fernseher und einen seiner ehemaligen Schützlinge beobachtet, der ihm davon laufen musste, um etwas zu werden.

Schattenboxen auf der Couch wird daraus, Frankie geht in jeder Bewegung mit, als würde es ihn selbst verletzen, wenn einmal die Grundregel nicht eingehalten wird, die er seinen Boxern einbleut - dass immer nur die Deckung zählt.

Er ist nur noch Vaterfigur in diesem Film, für alle, aber am meisten für Maggie, die ihm noch einmal ein Stück Leben zurückgibt: Mein Liebling, mein Blut.

Beim Boxen läuft alles rückwärts - manchmal trifft man besser, wenn man einen Schritt zurücktritt, aber manchmal kämpft man dann gar nicht mehr. Die Welt um diese Menschen herum ist brutal, und das Boxen bietet ein Regelwerk, mit dem sie sich nach Kräften zu schützen versuchen gegen die erwartbaren Schläge und die unfairen - aber es gibt immer Momente der Unachtsamkeit, für die man bezahlen muss.

Dunn hält nicht viel vom Frauenboxen, die neueste Freakshow, sagt er, als ihn die junge Boxerin um Hilfe bittet. Maggie - Hilary Swank hat für die Rolle gerade ihren zweiten Oscar bekommen - ist ein White-Trash-Mädchen mit einem Traum, sie hat nur sich selbst, um etwas zu beweisen, ein typischer Eastwood-Held also.

Sie boxt in Frankies Club, versucht ihn immer wieder davon zu überzeugen, dass er an sie glauben sollte. Das Kind einer herzlosen Mutter, den Vater hat sie verloren. Wenn sie diesen Traum nicht mehr hat, sagt Maggie, dann hat sie gar nichts mehr, und Dunn lässt sich erweichen.

All diese Menschen - Maggie, Frankie Dunn, aber auch die drei Bostoner Jungs in Eastwoods vorigem Film "Mystic River" - sind Gefangene ihres Schicksals, sie können nichts ausrichten gegen das, was ihnen widerfährt, aber manchmal bekommen sie die Chance, sich zu beweisen - Maggie schafft es fast bis ganz nach oben.

Diese Figuren sind aus der Armut, der Chancenlosigkeit in den Elendsvierteln der Städte geboren. Der Filmausstatter Henry Bumstead hat diese Ärmlichkeit in einen sehr schönen, von Menschen verwohnten Raum umgesetzt, Frankies Box-Studio, das mehr Zuflucht bietet als die Kirche - und später wird man sehen, wie Armut aussieht, wenn man ihr das Leben und die Liebe ausgetrieben hat.

"Ich werde vergessen, dass du ein Mädchen bist", sagt Dunn zu Maggie, und er vergisst das in Wirklichkeit in keiner Sekunde, aber er gesteht ihr in jeder zu, dass sie das Recht hat, um Anerkennung zu kämpfen. "Million Dollar Baby" ist in vielerlei Hinsicht frischer und kompromissloser und mutiger als das meiste, was junge Filmemacher zu bieten haben, und unter anderem wären Maggie und das Frauenbild, das sich hinter ihr verbirgt, selbst für wesentlich jüngere Filmemacher revolutionär.

"Million Dollar Baby" ist ein Brief von Eddie an eine Frau im Off, im Schatten der Geschichte - ein Voice-Over, in dem Scrap von Frankie und Maggie erzählt, gerichtet an Dunns tatsächliche Tochter, die seit Jahrzehnten jeden Brief ihres Vaters ungeöffnet zurückschickt.

Scrap erzählt ihr davon, wie Dunn als Vater gewesen wäre, wenn er einer hätte sein dürfen ... Das Tochtermotiv ist ein immer stärkerer Motor geworden in den Geschichten, die Eastwood interessieren. Das ist einmal ein Stilmittel gewesen - die Beziehung, die den Helden Eastwood als Figur definiert, ihm Tiefe gibt, die Action drumherum interessanter werden lässt, weil man begreift, was ihn treibt. Er kreist um dieses Thema seit "Dirty Harry" - da geht es um ein Mädchen, das er nicht retten kann -, bis hin zu Laura Linney, die seine Tochter spielt in "Absolute Power", die er immer nur aus der Ferne beobachtet, im Bewusstsein, dass seine Liebe nie ankommt.

"Million Dollar Baby" ist nun seine dichteste Arbeit dazu, nicht sentimental, sondern schmerzlich, so ehrlich und bewegend, dass man sich gar nicht vorstellen kann, es könnte ihm noch einmal mehr dazu einfallen, als hätte er bereits alles hineingelegt, was er in seinem Innersten hat finden können - "his empty heart", heißt es in einem Gedicht von Yeats, auf das sich Scrap einmal bezieht, "is full at length/But he has need of all that strength/Because of the increasing Night/ That opens her mystery and fright."

Beim US-Start gab es die Diskussion, wie sich "Million Dollar Baby" verhält zum Thema Euthanasie. Es ist ein bisschen schwer, das Thema zuzulassen, ohne etwas preiszugeben von diesem wunderschönen, traurigen Film. Es geht um ein Dilemma, aus dem kein ethischer Rat heraushelfen kann.

So kann man ohnehin nicht herangehen an ein Kunstwerk, das diese Frage nicht beantwortet und nicht beantworten will - was er macht aus der Geschichte, die Eastwood erzählt, muss jeder selbst wissen.

Aber die Frage, die gestellt wird in der entscheidenden Szene in "Million Dollar Baby", ist nicht, ob es Recht ist oder Unrecht, jemanden zu töten, sondern was Liebe ist -wie sich Bei-sich-behalten-wollen und Gehen-lassen-müssen zueinander verhalten, und dass es manchmal - im Ring und auch sonst - eine Blutung gibt, die man nicht mehr stillen kann.

In allen Beziehungen in "Million Dollar Baby", zwischen Dunn und Maggie und Scrap, geht es immer nur darum, die Balance zu finden zwischen Beschützen und Loslassen. Ein Gleichgewicht, das man in jedem Augenblick neu bestimmen muss, und manchmal, wenn man einen kurzen Moment lang nicht acht gegeben hat, ist alles zu spät.

MILLION DOLLAR BABY, USA 2004 - Regie: Clint Eastwood. Buch: Paul Haggis, nach der Geschichte "Rope Burns"von F.X. Toole. Kamera: Tom Stern. Schnitt: Joel Cox. Musik: Clint Eastwood. Ausstattung: Henry Bumstead. Mit: Hilary Swank, Clint Eastwood, Morgan Freeman, Jay Baruchel, Mike Colter, Lucia Rijker, . Kinowelt, 132 Minuten.

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URL:
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Quelle:
SZ v. 23.03.2005
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