Süddeutsche Zeitung

DVD: "As Tears Go By" und "Days of Being Wild":Die grandiose Unerbittlichkeit der Zeit

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Filme zum Wieder-und-wieder-Sehen: Die ersten Streifen von Wong Kar-Wai sind Wunderschöne Zeit-Etüden.

Fritz Göttler

Die Zeit hat Wunder gewirkt bei diesen Filmen, den ersten beiden von Wong Kar-Wai, der im Mai in Cannes den Jury-Vorsitz innehat: "As Tears Go By", 1989, und "Days of Being Wild", 1991.

Heute, nach fünfzehn Jahren, wirken diese Filme so jugendlich und frisch, so modern wie nie zuvor. Filme zum Wieder-und-wieder-Sehen; sie scheinen aus einer fernen, fremden Welt zu kommen und lassen doch dichte Beziehungen erkennen zu den späten großen Filmen "In the Mood for Love" und "2046".

Wo seid ihr gewesen am 16. April 1960, das ist die entscheidende Frage von "Days of Being Wild". Wo war Wong Kar-Wai, der damals in Shanghai mit seinen Eltern lebte...

1963 wurde die Familie dann getrennt, er ging mit der Mutter nach Hongkong, kurz danach setzte die radikale Kulturrevolution ein und China machte seine Grenzen dicht, der Rest der Familie konnte nicht folgen. Es sind die Sechziger, von denen Wong Kar-Wai in seinen Filmen erzählt, immer wieder.

Die eigene Familiengeschichte auf den Kopf gestellt

In "Days of Being Wild" hat er die eigene Familiengeschichte auf den Kopf gestellt, da versucht einer vergebens, einmal noch seine Mutter zu sehen, die sich in ein feudales Haus in Manila zurückgezogen hat, den Sohn zu einer Prostituierten in Hongkong gegeben hat.

Es könnten die Kinder von Mao und Coca Cola sein, von denen dieser Film erzählt. Gleich am Anfang kommt ein Typ einen Gang entlang, Leslie Cheung- der mythische Star, er ist 2003 in den Tod gesprungen-, er nimmt sich eine Cola aus der Truhe, geht an den Tresen, um zu zahlen, und versucht das Mädchen anzumachen, das dort hantiert, Maggie Cheung.

Am nächsten Tag ist er wieder da, das gleiche Ritual, sie ist zögerlich, prüft, wie ernst er es meint. Schau auf die Uhr, sagt er schließlich, eine Minute lang. Dann kannst du dich immer erinnern, dass wir eine Minute zusammen waren, am 16. April 1960.

Die Uhr ist es, die diese beiden Filme dominiert, die Zeit selbst, sie steht mit ihrer grandiosen Unerbittlichkeit auch hinter dem hektischen Unterweltmilieu im ersten Film "As Tears Go By", mit dem Jugend-Triumvirat Andy Lau, Maggie Cheung, Jacky Cheung, die sich in der Zocker- und Gangsterszene herumschlagen, mit einer unvergleichlichen Mischung aus Naivität und Treue und Unverschämtheit.

Mehr als eine Hongkong-Variante von Nouvelle Vague

Und sie wird die späten Filme prägen, in denen die Liebe aufgesogen wird von der Monotonie des Lebens und das Vergehen der Zeit spürbar wird als ein merkwürdiger Stillstand. Wirst du mich heiraten, fragt Maggie Cheung; nein, sagt Leslie Cheung, und er zieht mit einer brutal lässigen, endgültigen Bewegung den Kamm durch sein schwarzes Haar.

Der Film ist mehr als eine Hongkong-Variante von Nouvelle Vague, und er geht über Godards "Außer Atem", mit dem er immer in Zusammenhang gebracht wird, weit hinaus - geht zurück zu Nicholas Ray, filmt seine jugendlichen Rebellen ohne einen Grund mit der gleichen Intensität wie dieser einst James Dean und John Derek filmte.

Maggie Cheung verlässt den Jungen, zieht einsam durch die Straßen, Craven A rauchend, trifft einen jungen Polizisten, der Streife geht - Andy Lau, der in "As Tears Go By" als jugendlicher Kleingangster sich durchschlug. Dann gehen die zwei durch die Straßen, die Christopher Doyles Kamera grün im Regen oszillieren lässt.

Andy Lau hat die Mütze tief ins Gesicht gezogen, Maggie Cheungs Haar wird im Regen nass und schwer. Der Gang - er erinnert an den der Liebenden durchs nächtliche Wien in Ophüls" "Liebelei" - endet bei einer Telefonzelle.

Wenn man in die Dreißiger kommt...

Hier könne sie ihn anrufen, erklärt der Junge dem Mädchen, und er wird, wenn er künftig auf seinen Streifen hier vorbeikommt, immer ein wenig länger verweilen, in der Hoffnung auf diesen Anruf.

"As Tears Go By" war ein überraschender Erfolg im Hongkong-Kino, daher bekam Wong Kar-Wai von den Produzenten viel Freiheit bei seinem nächsten Film - der dann ein totaler Flop wurde.

Zwei Jahre liegen zwischen den beiden Filmen, den einen hat er mit 29, den anderen mit 31 gemacht. Das ist eine entscheidende Schwelle, erklärt Wong Kar-Wai: wenn man in die Dreißiger kommt. Die Perspektive aufs Leben verändert sich, der Rhythmus.

"As Tears Go By" und "Days of Being Wild" von Wong Kar-Wai. Erschienen bei Alamode Film.

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SZ vom 24.4.2006
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