Süddeutsche Zeitung

Dokumentation:Nazis, Weihnachtsbäume und Touristen

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Die eindrucksvolle Dokumentation "Das Gelände" über ein Kernstück der Berliner Stadtgeschichte.

Von Martina Knoben

Ein seltsames Glühen liegt in den Bildern. Orange und rosa leuchtet der Abendhimmel über dem Wäldchen, das in der Mitte Berlins liegt und dennoch verwunschen wirkt, wie aus der Zeit gefallen. Hier gibt es scheinbar nichts zu sehen, nur wildwuchernde Bäume, ein paar Schuttberge und Gestrüpp. Das Licht, in das Regisseur Martin Gressmann seinen Dokumentarfilm "Das Gelände" taucht, vermittelt noch vor jedem Verstehen eine Ahnung, wie unheimlich und faszinierend sein Schauplatz ist.

Während des Nationalsozialismus ging man hier nicht entlang, sondern nahm lieber einen Umweg in Kauf, hatte seine Großmutter dem Filmemacher erzählt. Auf diesem Gelände im Herzen Berlins, zwischen Wilhelmstraße und der damaligen Prinz-Albrecht-Straße, lagen zwischen 1933 und 1945 die Machtzentralen der nationalsozialistischen Herrschaft: die Gestapo, die dort sogar ein eigenes Hausgefängnis hatte, die Reichsführung SS, der Sicherheitsdienst und, während des Zweiten Weltkriegs, das Reichssicherheitshauptamt.

Nach dem Krieg wurden die Nazi-Gebäude gesprengt, die Prinz-Albrecht-Straße verschwand unter der Mauer. In ihrem Schatten wurde das Gelände beinahe vergessen. Martin Gressmann aber, der 1981 von Hamburg nach Berlin zog, war so fasziniert davon, dass er 1985 begann, es zu filmen, fast 30 Jahre lang, bis auf der ehemaligen Brache das Dokumentationszentrum "Topografie des Terrors" entstand.

Eine solche Langzeitdokumentation ist natürlich ein Glücksfall, vor allem, weil der Regisseur streng chronologisch erzählt und dabei die ganze Hilflosigkeit einfängt, die die Debatte über den Umgang mit diesem historisch so stark belasteten Areal begleitet hat. Auch politische Pleiten, Pech und Pannen werden dokumentiert, exemplarisch der gelbe Kran, der neun Jahre lang auf dem Gelände stand, um die Stelen für das von Peter Zumthor geplante, aber von ihm nie gebaute Dokumentationszentrum zu transportieren. Der Kran, der nie zum Einsatz kam, kostete eine vierstellige Mietsumme - pro Tag.

Mit mehr als einer Million Besuchern 2015 ist das Dokumentationszentrum mittlerweile einer der meistbesuchten Erinnerungsorte in Berlin geworden. Aber eine Erfolgsstory dieser Institution ist der Film "Das Gelände" glücklicherweise nicht. Der Regisseur, der eigentlich Kameramann ist (er hat unter anderem mit Rudolf Thome, Kai Wessel und Dominik Graf gearbeitet), ist vor allem ein geduldiger Beobachter, der die Spuren der Geschichte aufspürt, die sich wie Sedimente über- und nebeneinander ablagern.

In den Achtzigern filmte er den Kreuzberger Sanierungsschutt, der auf der Brache zu Hügeln zusammengeschoben ist, ein Zeugnis früher Gentrifizierung. Er zeigt die Asphaltreste im hinteren Teil des Areals, wo Fahranfänger ohne Führerschein ihre ersten Runden drehen durften. Weil man den historisch kontaminierten Ort am liebsten vergessen wollte, wurde das Gelände nach dem Krieg gewerblich genutzt. Ende der Achtziger erst begann das offizielle Graben nach der NS-Vergangenheit, wobei nicht nur die Keller der Gestapo und das kopflose Skelett eines Soldaten, sondern auch der Eiskeller des barocken Prinz-Albrecht-Palais offengelegt wurden. Nach der Wende filmte Gressmann die Löcher in der Mauer und Menschen, die den "antifaschistischen Schutzwall" verfluchen. Danach viele Baustellen, als die ehemalige Brache im Niemandsland zum Filetstück der Stadt geworden ist. Es ist Weltgeschichte, die sich an diesem überschaubaren Schauplatz spiegelt.

In einen Dialog mit den Bildern treten Stimmen von Experten, deren Namen erst im Abspann genannt werden, was etwas unübersichtlich ist. Vor allem Historiker, aber auch eine Ökologin oder der Architekt Peter Zumthor kommentieren aus dem Off Aspekte des Geländes. Geschnitten wurde der Film von Bettina Böhler, die als Cutterin für Christian Petzold, Christoph Schlingensief und Oskar Roehler gearbeitet hat. Ihre anspruchsvolle Montage wiederholt das archäologische Prinzip: Sprache und Bilder fügen sich zu einem notwendigerweise lückenhaften und dennoch vielsagenden Bild zusammen. Das Unsichtbare sichtbar zu machen, Stummes zum Sprechen zu bringen, ist ja die vielleicht wichtigste Aufgabe des Dokumentarfilms. Und es ist auch die zentrale Aufgabe jedes Gedenkortes. In Gressmanns Film fällt beides auf glückliche Weise zusammen.

Aus der Straße, um die die Menschen in der Nazi-Zeit einen Bogen machten, wird im Laufe des Films ein Tourismusmagnet . Gressmann notiert Reisebusse im Minutentakt. Ein Erfolg, aber nicht nur. Das früher geheimnisvolle, faszinierend bedrohliche Gelände wirkt eingehegt. Es habe seine Spannung verloren, es "redet nicht mehr", sagt eine Stimme aus dem Off.

Immer wieder hatte Gressmann die Natur auf dem Gelände gefilmt, fasziniert von der Vitalität des Unordentlichen, Ungeplanten und Provisorischen. So hatten sparsame Berliner das Wäldchen entdeckt und schnitten dort noch in den Achtzigern ihre Christbäume ab. Eine auf diese Weise beschnittene Tanne ist im Film zu sehen, dazu erklärt die Ökologin, dass ein Seitentrieb zur neuen Spitze heranwächst, wenn die ursprüngliche Spitze gekappt wird. Als Gressmann mehr als 25 Jahre später aufhört, auf dem Gelände zu filmen, ist der damals gestutzte Baum 15 Meter hoch. Und auch zwischen den Schottersteinen, die heute als Teil der "Topografie des Terrors" die Nazi-Keller bedecken, sprießt wieder Unkraut. So macht sich auf den Resten und in den Ritzen der Weltgeschichte wieder Leben breit.

Das Gelände , Deutschland 2014 - Regie und Buch: Martin Gressmann. Kamera: M. Gressmann, Volker Gläser, Hanno Lentz, Ralph Netzer. Schnitt: Bettina Böhler. Musik: Brynmor Jones. Filmkinotext, 93 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 15.11.2016
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