Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm:Waldheims Walzer

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Von Verena Mayer

Das Jahr 1986 gilt als Wendepunkt der jüngeren österreichischen Geschichte. Jörg Haider setzte sich an die Spitze der FPÖ, und Kurt Waldheim wurde zum Bundespräsidenten gewählt, jener Mann, der als Offizier der Wehrmacht im Stab eines später verurteilten Kriegsverbrechers auf dem Balkan tätig gewesen war, von alledem aber nichts mitbekommen haben wollte. Beide Ereignisse veränderten die politische Kultur. Mit Haider begann der unaufhaltsame Aufstieg des Rechtspopulismus, Waldheim wurde zum Symbol für die Verdrängung der NS-Vergangenheit und den Unwillen der österreichischen Politik, sich der Verantwortung zu stellen. Über die Folgen von 1986 wurde viel geschrieben, die österreichische Filmemacherin Ruth Beckermann begibt sich in ihrer Dokumentation "Waldheims Walzer" noch einmal an den Ausgangspunkt, die so genannte Waldheim-Affäre.

Für den Film, der 2018 herauskam und bis Ende August in der Arte-Mediathek zu sehen ist, grub Beckermann ihr Material von damals aus. Beckermann hatte 1986 etwa bei Demonstrationen gefilmt und war auf Waldheim-Anhänger getroffen, bürgerlich wirkende Männer und Frauen, die Hitler lobten und den Juden die Schuld an allem gaben. Diese Quellen reicherte sie mit Fernsehbeiträgen und Interviews aus der Zeit zu einem Essay über Waldheims Karriere an, in dem sie eine Biographie des Wegschauens und Verleugnens erzählt, Sinnbild für ein Land, das sich Jahrzehnte lang als erstes Opfer des Nationalsozialismus inszenierte. In der Rückschau wirken die Ereignisse noch krasser, die österreichischen Politiker, die Juden als "ehrlose Gesellen" bezeichnen, das selbstgerechte Auftreten Waldheims. Selbst als man ihm Dokumente über seine Zeit bei der Wehrmacht vorlegt, will er sich an nichts erinnern oder bezeichnet sich als "anständigen Soldaten", der wie Hunderttausende Österreicher nur seine Pflicht getan habe. Die Einblicke in die österreichische Seele haben am Ende dennoch etwas Optimistisches. Wenn Beckermann nämlich die vielen und vor allem jungen Menschen zeigt, die damals gegen Waldheim demonstrierten und sich politisierten - und den Grundstein dafür legten, dass ein Prozess der Aufarbeitung in Gang kam. Das hölzerne Pferd, das 1986 in Anspielung auf Waldheims Mitgliedschaft bei der Reiter-SA bei den Protesten zu sehen war, ist heute im Haus der Geschichte auf dem Wiener Heldenplatz ausgestellt.

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Quelle:
SZ vom 04.07.2020
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