Süddeutsche Zeitung

Dokumentarfilm-Oscar:Besiegt von Maschinen

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Die Netflix-Dokumentation "American Factory" erzählt von der Ausbeutung von Fabrikarbeitern.

Von Alex Rühle

Dreimal zuvor war Julia Reichert bereits nominiert für einen Dokumentarfilm-Oscar, zuletzt 2010 für eine Studie über die Schließung eines General-Motors-Werks in ihrer Heimatstadt Dayton, Ohio. Zehn Jahre später hat sie nun gewonnen, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Steven Bognar - und im Grunde ist "American Factory" die bittere Fortsetzung des letzten Films. Der Titel deutet das Drama, das hier dokumentiert wird, schon an: Nach der GM-Schließung wurden 2400 Menschen arbeits-, viele auch obdachlos. 2014 stand dann Fuyao vor der Tür, ein chinesischer Windschutzscheibenhersteller. Die vermeintlich amerikanische Factory, die gezeigt wird, ist also mittlerweile nur noch Dependance eines chinesischen Weltkonzerns - und damit aber in gewisser Weise prototypisch für vieles in Amerika.

Dass das alles nicht einfach wird mit dem anfangs gefeierten Joint Venture, merkt man schon nach wenigen Minuten, als der Senator von Ohio bei der Eröffnung sagt, er hoffe, dass die Belegschaft sich gewerkschaftlich organisieren kann. "Das war nicht abgemacht", tobt einer der chinesischen Manager, "ich würde ihm am liebsten den Kopf abschneiden!" Spätestens hier fragt man sich, wie Reichert und Bognar es geschafft haben, all ihr Material tatsächlich in den Film hinüberzuretten: Der chinesische Manager, der von den Amerikanern wie von beschädigter Ware spricht: "Sie sind langsam und haben zu fette Finger", außerdem schwätzen sie viel zu viel. Sein subalterner US-Kollege antwortet, man sollte allen amerikanischen Arbeitern den Mund zukleben. Interessierte Gegenfrage: "Darf man das bei euch?"

Irgendwann werden die fleißigsten Amerikaner auf eine Reise ins Stammhaus eingeladen. Angeblich ist das Ganze eine Belohnung. In Wahrheit ist es eine Art Schockbehandlung, ein Ausflug in den Maschinenraum der Globalisierung, im chinesischen Werk wird doppelt so schnell gearbeitet, sieben Tage die Woche, alle wirken glücklich und dankbar, und wer Glashaufen nach großen Restscherben durchsucht, kriegt keine Handschuhe sondern den Rat, verdammt noch mal aufzupassen. Und was genau wolltet ihr fetten Amis mit dieser sogenannten Gewerkschaft?

"American Factory" wirkt wie ein Pendant zu den Filmen von Ken Loach, ein kunstvoll montiertes Dokument des gnadenlosen Wettbewerbs in Zeiten, in denen am Ende einzig die Roboter gewinnen. "American Factory", der erste Film der neuen Produktionsfirma der Obamas, läuft auf Netflix.

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Quelle:
SZ vom 11.02.2020
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