Süddeutsche Zeitung

"Lee Scratch Perry's Vision of Paradise":Legenden dürfen verrückt sein

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Reggae-Prophet Lee Scratch Perry sieht sich als wiedergeborener Messias - ein Film beleuchtet nun seine Vision vom Paradies.

Von Juliane Liebert

Wir warten nun schon eine ganze Weile auf den Weltuntergang. Die Mayas haben ihn datiert, das Johannesevangelium hat ihn lange angekündigt, ebenso die Zeugen Jehovas - aber nichts geschah. Man könnte glatt den Glauben an religiöse Voraussagen verlieren, wäre da nicht Lee Scratch Perry. Wenn Perry, Urvater einer Spielart des Reggae, die Dub genannt wird, mit rot gefärbtem Bart und mit Glassteinen beklebtem Basecap im Meer steht und den Untergang Babylons (der westlichen Kultur) prophezeit, glaubt man ihm. Die Welt geht zugrunde, sagt er, aber Lee Scratch Perry hat keine Angst.

In seinen Schuhen trägt er Einlagen mit dem Bild Haile Selassis, und in diesen Einlagen, unter Selassi, ein Bild der Queen. Sowohl Gott als auch der Teufel haben sich eingefunden in "Vision of Paradise", Volker Schaners Dokumentation über Perry. Der erklärt dem Publikum durch verschiedene sichtlich verwirrte Interviewer die Weisheiten von Dub, Rastafari, schwarzen Juden, Reggae, warum er der wiedergeborene Messias ist ("Natürlich bin ich Gott, sonst wäre ich doch der Teufel, und wer will schon der dumme Teufel sein?"). Warum Steine auch Adern haben, warum man auf seinen heiligen Wurzeln keine Sitzbank anbringt, wo die Brüste der Mutter Gottes sind. Das alles nimmt der Film ohne Widerspruch hin, gegen Ende erzählt die freundliche Erzählerstimme, da Perry der Messias sei, sei dieser Film hiermit das neue Testament, und Amen. Das ging schnell.

Nun ist Perry nicht dafür berühmt, das schwarze Königreich Gottes auf Erden errichtet zu haben, sondern dafür, dass er eine ganze Musikrichtung und die Art, das Studio als ein Musikinstrument zu verwenden, mitbegründet hat. Er zählt zu den Pionieren, für die elektronische Musik ist er so wichtig wie Paul McCartney für den Pop. Wenn er auf der Bühne steht und "Ganja must be free! Cigarettes must be banned!" ruft, bevor der Beat einsetzt und die Menge zu jubeln beginnt, weiß man, warum: Er verkörpert Dub und Reggae, ohne eine einzige Dreadlock, ohne, dass man ihn im Film auch nur einen Joint rauchen sieht.

"Dienst du Gott, wenn du Musik machst?"

"In meinem Herzen lebt ein König, der nicht sterben kann. Und der König ist eine Trommel." Musikdokumentationen haben für gewöhnlich die unangenehme Angewohnheit, sich selbst entsetzlich ernst zu nehmen. "Vision of Paradise" ist anders, leichtfüßig, es mag dem Hauptdarsteller geschuldet sein.

Volker Schaner folgt Perry, ohne ihn wirklich zu werten, und auch die unvermeidlichen Interviews mit Leuten, die vor dreißig Jahren einmal mit dem Star zusammengearbeitet haben und daraus bis heute nicht nur seine, sondern auch die eigene Wichtigkeit ableiten, finden zwar ihren Platz, sind aber angenehm knapp bemessen. Jedenfalls schaffen sie es nicht, der schönen Verrücktheit des Mannes etwas anzuhaben. "Dienst du Gott, wenn du Musik machst?", wird Perry einmal gefragt, die Antwort gibt er schon früher im Film: "Natürlich. Gott will unterhalten werden."

Lee Scratch Perry's Vision of Paradise, D/GB/CH 2015 - Regie, Buch, Kamera: Volker Schaner. Interzone Pictures, 97 Minuten.

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Quelle:
SZ vom 23.03.2016
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