Süddeutsche Zeitung

"Die Tribute von Panem" im Kino:Nur die Siegerin wird überleben

Lesezeit: 3 min

Eine reiche Hauptstadt, die grausam über zwölf Distrikte herrscht: Das ist Panem. Die erfolgreiche Romantrilogie über eine postapokalyptische Diktatur auf dem Gebiet des heutigen Amerika kommt nun ins Kino. Jennifer Lawrence wird als Hauptdarstellerin zu Panem's Next Topmodel, Gladiatorenspiele transportieren eine satirische Medienkritik.

Petra Steinberger

Katniss Everdeen ist nicht jedermanns Darling. Sie schleicht heimlich in die Wälder um ihre Siedlung, was verboten ist. Sie jagt Tiere, und es ist kein Mitleid in ihrem Blick, wenn sie tötet, nur Notwendigkeit. Die 16-Jährige ernährt ihre Mutter und ihre kleine Schwester, seit der Vater tot ist, wer sonst sollte es tun - in ihrer Welt überleben die Schwachen nicht lang.

Katniss Everdeens Welt ist Panem, eine postapokalyptische Diktatur auf dem Gebiet des heutigen Amerika. Dort herrscht eine reiche Hauptstadt über zwölf Distrikte, die den Präsidenten (Donald Sutherland) und seine Höflinge mit Rohstoffen und Industrieprodukten versorgen. Katniss lebt im Minen-Distrikt, der so grau und verelendet aussieht wie die Depressionsära-Bilder von Dorothea Lange. Weil die Distrikte einst revoltierten, werden jedes Jahr die "Hungerspiele" veranstaltet - eine besondere Art des Gladiatorenkampfes auf Leben und Tod: Die 24 Gladiatoren sind Kinder, zwei aus jedem Distrikt werden ausgelost - und nur der Sieger wird überleben. Das Spielfeld ist eine Waldarena, die wild anmutet und dabei komplett überwacht und kontrolliert wird; beobachtet von unzähligen Kameras, die das Massaker live ausstrahlen. Den Distrikten soll dies Warnung sein, sich nie wieder zu erheben. Für die dekadenten Hauptstädter ist es Amüsement.

Diese beiden Realitäten - die Hauptstadt, in der das Abschlachten nichts als ein Medienspektakel ist, und die Distrikte, die um ihre Kinder bangen - macht der Regisseur Gary Ross gleich in den ersten Szenen ganz klar. Katniss jagt noch in den Wäldern, als der grotesk-süffisante Fernsehmoderator (ein lila toupierter Stanley Tucci) sein Publikum schon auf die kommenden Spiele einstimmt. Sie meldet sich freiwillig für diesen Kampf, um ihre kleine Schwester zu retten. Und schon bereitet eine Entourage aus Stylisten ihre medienwirksame Präsentation für das gierige Publikum vor. Katniss wird, ehe sie in die Arena einfährt, zu Panems Next Topmodel.

Die ungeheuer erfolgreiche Romantrilogie "Hunger Games" von Suzanne Collins, bei uns als "Die Tribute von Panem" veröffentlicht, steht nicht nur in Amerika seit Jahren auf den Bestsellerlisten. Aber man muss das Buch nicht kennen, um sich in Gary Ross' Film und in Katniss' Gedankenwelt hineinzufinden. Seine Adaption bleibt nah, jedoch nicht streng an der Vorlage, vor allem die Gewalt ist reduziert. Denn in den Büchern von Collins, die auch am Script mitgearbeitet hat, fließt Blut, viel, oft, grausam. Blut in einem Buch, das ist etwas anderes als auf der Leinwand. Ross lässt das Kinopublikum - anders als die hysterischen Zuschauer von Panem - nicht zum Komplizen werden beim inszenierten Schlachten. Und bei zu vielen toten Kindern, zu vielen offenen Halsschlagadern wäre ein PG-13-Rating unmöglich geworden (die deutsche Altersfreigabe ist ab zwölf).

Aber in den "Tributen" geht es um mehr als um Leben und Tod - Ross lässt eine manchmal fast satirische Medienkritik durchscheinen. Er zeigt aber vor allem die inneren Kämpfe der Heldin, der spröden, abweisenden Ich-Erzählerin Katniss. Sie muss, wenn sie überhaupt eine Chance haben will, mitspielen in der perfiden Show. Sie muss sich mit widerstreitenden Gefühlen für Mitkämpfer Peeta (Josh Hutcherson) auseinandersetzen - aber anders als die schmachtende Bella aus der "Twighlight"-Saga hält sie ihn eher auf Distanz. Sie will rebellieren und schafft es immer wieder, die brutale Logik dieser Entertainment-Industrie gegen diese selbst zu wenden, um gerade nicht zur unnahbaren, perfekten Kampfmaschine zu werden.

In Jennifer Lawrence hat Gary Ross die ideale Besetzung für "die wichtigste weibliche Figur in der jüngeren Popgeschichte" ( The Atlantic) gefunden. Für eine ähnliche wildnis-affine Rolle in "Winter's Bone" wurde Lawrence letztes Jahr für den Oscar nominiert. Nun ist es vor allem ihr Gesicht, in dem sich alles spiegelt - Verzweiflung und Härte, Mitleid und Verachtung. Sie macht aus Katniss eine Heldin, die nahekommt, ohne sentimental zu werden.

Man könnte Ross und Collins einige Unstimmigkeiten vorhalten - wie sollten beispielsweise die offenbar kleinen, hinterwäldlerischen Distrikte ein derartiges Hightech-Imperium versorgen können; wie genau passt die faschistoide Vision der Hauptstadt mit ihrer geradezu karnevalesken Unterhaltungsästhetik zusammen; und wie soll Unterdrückung genau funktionieren, wenn man die jeweiligen Gewinner der Spiele zu gefeierten Helden stilisiert? Aber solche Widersprüche gehören zu in diesem Eventfilm, der seine scharfe Kanten behalten hat. Und weil das Ganze als Trilogie konzipiert ist, gibt es kein finales Happy End. Eher eine bittere Vorschau - und Werbung - für den nächsten Teil. Was das Publikum schließlich doch zu Komplizen der Hungerspiele werden lässt.

DIE TRIBUTE VON PANEM - THE HUNGER GAMES, USA 2012 - Regie: Gary Ross. Buch: Gary Ross, Suzanne Collins, Billy Ray. Kamera: Tom Stern. Mit Jennifer Lawrence, Josh Hutcherson, Liam Hemsworth . Studiocanal, 142 Min.

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Quelle:
SZ vom 22.03.2012
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