Süddeutsche Zeitung

Die DVD: "Four Brothers":Death, Destruction & Detroit

Lesezeit: 3 min

So ist das Leben, Kinners! So und nicht anders: "Four Brothers" von John Singleton ist eine Milieustudie über das Leben in Detroit, einer der gefährlichsten Städte der Welt. Die DVD-Version erklärt zudem, warum die "Mid"-Westerns so sind wie sie sind, aber so nicht sein müssten.

Von Jürgen Schmieder

Es gibt sie noch, die gute alte Rachegeschichte: Das alte Spiel Auge um Auge und Selbstjustiz aus den Zeiten der Goldgräber, die schon 1965 in "Die vier Söhne der Katie Elder" mit John Wayne und Dean Martin verfilmt wurde.

Lange galt das Thema als ausgestorben mit den Western und sowieso nicht mehr leinwandtauglich. John Singleton transportiert es mit seinem Film "Four Brothers" nun in die Gegenwart.

Die DVD-Version bietet dazu noch mehr: Sie erklärt, warum "Four Brothers" mehr ist als nur ein tumber Rachefilm.

Wer heutzutage in Detroit lebt, der muss wissen, warum er sich antut.

Denn: Man wird umgeben sein von Schießereien, Raubmord, Gewaltverbrechen. Nicht umsonst gilt die einstige Industriemetropole als gefährlichste Stadt der Vereinigten Staaten.

John Singleton hat seine Kulisse mit Bedacht gewählt. Um mit Tabus zu brechen, musste er in eine düstere Stadt ziehen, in der ein Menschleben nicht viel Wert ist. Wo die Helden nicht strahlend auf einem Pferd sitzen und mit glänzenden Colts die Bösewichter erledigen, sondern selbst eine düstere Seele besitzen und moralische Grenzen überschreiten.

Vier Halbbrüder treffen sich nach Jahren auf der Beerdigung ihrer Ziehmutter wieder. Sie wurde in einem Supermarkt brutal erschossen, als sie einem Kind die Leviten lesen wollte. "Die Leute, die das verbrochen haben, kommen von den gleichen Straßen wie wir auch. Mom wäre die erste, die ihnen vergeben würde", sagt Jeremiah (Andre Bejamin), der erfolgreiche Star mit dem besonnenen Gemüt. Die anderen, vor allem Bobby (Mark Wahlberg), denken anders darüber. In Detroit hilft keine Polizei, man hilft sich selbst. Also begeben sich die vier Brüder zurück auf die dunkeln Straßen der Stadt, um den Schuldigen zu finden und den Tod der Mutter zu rächen.

Protagonisten im Western sollen rein sein, schon in den ersten Minuten die Sympathie der Zuschauer für sich gewinnen. Vor allem aber dürfen sie keine Unschuldigen töten, ihre moralischen Werte sollen Kantschen Ansprüchen genügen. Mindestens. Doch eine Szene im Film verdeutlicht den Bruch Singletons mit alten Regeln.

Nach einer Jagd durch die Schluchten von Detroit stehen die Vier vor ihren überrumpelten Verfolgern. Doch anstatt die Besiegten in Ruhe zu lassen, richten die Brüder sie hin, ohne Reue, ohne Scham.

Das Gut-Böse-System der Traumfabrik wird aus den Angeln gehoben, die Helden bekommen einen dunklen Fleck auf der Seele, eine moralische Reflexion der Tat findet nicht statt..

Vielleicht war das Genre des Western deshalb so lange von der Leinwand verschwunden. Die heutige Gesellschaft verlangt nach mehr als einer eindimensionalen Darstellung, sie braucht komplexere Figuren mit streitbaren Eigenschaften. In Amerika argumentierten die Kritiker wie schon 1999 bei "Fight Club": Die Darstellung der Gewalt diene nicht der Handlung, es sei pure Effekthascherei und eine Orgie an Blut und Action.

Tatsächlich geht es weniger um Handlung, sondern - wie in David Finchers Meisterwerk auch - um die Studie von Charakteren in der Gegenwart.

Wer in Detroit einmal die Cass Street entlang gefahren ist, die Nacht auf der falschen Seite der 8 Mile verbracht hat, wird die Motivation und die Taten seiner Figuren verstehen. Für die anderen gibt es den Bonus-Part auf der DVD. Regisseur John Singleton erklärt jede einzelne Szene, beschreibt, warum Bobby am Anfang des Films an der "Cass Tech High School" - eine der gewalttätigsten Schulen Amerikas - vorbeifahren muss. Singletons Worte werden zu einer Studie der Detroiter Unterklassengesellschaft.

Es gibt Material über den Look des Films: Wie schaffen es die Designer, aus vier grundverschiedenen Typen - dazu noch verschiedener Hautfarbe - so etwas wie Brüder entstehen zu lassen? Sie sind eine Familie, sie helfen sich. "The Look of Four Brothers" erklärt das Aussehen, "Behind the Brotherhood" ihr Verhalten.

Die DVD bietet dzu noch neun Szenen, die aus der Kinoversion herausgeschnitten wurden. Allerdings bietet dieses Feature nur wenig zusätzlichen Gewinn, denn man erkennt beim Betrachten relativ schnell, warum diese Szenen im Film nichts verloren haben. Beachtlich dagegen ist das Bonus Feature "Mercer House Shootout": Die Choreografie einer Actionszene wird erklärt, Cineasten werden ihre wahre Freude daran haben.

Die Special Feature-Sektion von "Four Brothers" wartet mit einer neuen Geschichte auf, sie erklärt den gesellschaftlichen Hintergrund des Film und liefert den Grund, warum die Kritiken in Deutschland und Amerika so divergierten. Der amerikanische Kritikerpapst Roger Ebert nannten den Film ein "Meisterwerk" und zeigte mit beiden Daumen nach oben. Deutsche Kritiker dagegen nannten den Film ein thumbes Rachedrama ohne Fokus auf Figuren. Sie haben "Four Brothers" mit ihren Augen gesehen und nicht mit denen eines Menschen der amerikanischen Unterschicht. Denn für sie wurde diese Geschichte erzählt. Es ist ihre.

DVD "Four Brothers" Regie: John Singleton Mit: Mark Wahlberg, Tyrese Gibson, Andre Benjamin, Josh Charles USA 2004

Bonus Features:

- Kommentar von Regisseru John Singleton - The Look of the Four Brothers - Crafting the Four Brothers - Mercer House Shootout - 9 Deleted Scenes - Theatrical Trailer - Widescreen Version (16:9)

Bildqualität: sehr gut

Tonqualität: sehr gut, allerdings benötigt man eine gute Heimkinoanlage

Special Features: sehr gut

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