Süddeutsche Zeitung

Deutsche Gegenwartsliteratur:Plauderjahre einer Architektin

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Theresia Enzensberger schickt eine junge Berlinerin ans Bauhaus, nach Weimar und Dessau. Ihr Debütroman "Blaupause" erzählt von Aufbruch, verlorenen Illusionen und einer heiteren Kehrtwende.

Von Jens Bisky

Zum Himmel hoch und zum Handwerk zurück wollte Walter Gropius, als er das Staatliche Bauhaus in Weimar begründete. Er hatte damit eine gute Lösung für die in sich widersprüchliche Anforderung an eine Kunstschule gefunden, durch Einführung ins Erprobte das Unvorhergesehene zu ermöglichen. "Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens."

So ungefähr will das Luise Schilling auch, die Heldin und Erzählerin in Theresia Enzensbergers Bauhaus-Roman "Blaupause". Luise hat eine Leidenschaft für die Baukunst und will auf keinen Fall so leben, wie ihre Eltern das für sie geplant haben. Zwar scheint sie meist naiv, eher gezogen und geschoben als drängend, entscheidend. Aber eines steht fest: Hauswirtschaftsschule und Eheschließung, die Lebensaufgabe Gattin, sind nichts für sie. Also sitzt sie 1921 in Weimar im Direktorenzimmer des Walter Gropius und zeigt ihm ihre Architekturzeichnungen.

Theresia Enzensberger ist als freie Journalistin bekannt geworden. Das von ihr begründete Block Magazin will sich dem "Relevanzgehechel" des Medienbetriebs entziehen. Und ja, sie ist die Tochter des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger. "Blaupause" ist auch die Geschichte einer Tochteremanzipation. Rasch sind die Gärungsmomente beisammen, die in Campusromanen üblicherweise die Handlung vorantreiben: die Spannung zwischen Aufbruchswillen und Uni-Alltag, das Zugleich von Studium und erotischer Selbstfindung, von Welterkundung und Rückzug in die Bibliothek, die Werkstatt. Hinzu kommen Enttäuschungen, die Geliebte und Freunde bereiten oder berühmte Lehrer, sobald man sie näher kennenlernt.

Dennoch kommt die Handlung nicht recht von der Stelle. Was wie ein Bildungsroman beginnt, erstarrt zur kulturhistorischen Revue. Die Themen und Erkenntnisse der neueren Bauhausforschung hat Theresia Enzensberger eingearbeitet. Neben dem allseits bekannten Gropius erhalten andere Lehrer die ihnen gebührende Aufmerksamkeit: der Schweizer Maler Johannes Itten etwa oder der zweite Bauhaus-Direktor Hannes Meyer - "Mir gefällt, wie radikal er jede ästhetische Überlegung ablehnt", sagt Luise. In Weimar hatte sie sich den "Kuttenträgern" um Itten angeschlossen, mit einem von ihnen eine wunderbare, weil aussichtslose Liebelei begonnen. In Dessau dann lässt sie sich von einem überaus ehrgeizigen Reklamezeichner erobern.

Die politischen Spannungen der Zeit blitzen auch an der Kunstschule auf. Was sonnst noch auf der Checkliste "unsere Zwanzigerjahre" stehen mag, kommt vor: Nachtleben, Herren in Damenkleidern und Damen in Herrenanzügen, Hirschfelds "drittes Geschlecht", Esoterisches, Antisemitismus, Gewalt, Amerikanisierung, Reformdiskussionen, Bubikopf und die Bereitschaft, das Vergangene abzuräumen.

All das erlebt und berichtet Luise Schilling wie nebenbei. Ihr Konflikt ist der der neuen Frau, die sich nichts vorschreiben lassen und in einer Männerdomäne wie der Architektur ihren Platz erobern will. Aus Ulrike Müllers Buch "Bauhaus-Frauen" wissen wir, wie stark auch die Kunstschule der Moderne von konventionellen Rollenzuschreibungen geprägt war. Frauen sollten sich in der Textilwerkstatt tummeln, hier konnten sie etwas werden. In Luises Freundin Maria kann man Züge der Weberin Gunta Stölzl erkennen, der ersten Bauhaus-Meisterin.

Der Emanzipationskonflikt sorgt im letzten Drittel des Romans dann doch für eine rasante Handlung. Lange genug war die Heldin in Diskussionen nicht zu Wort gekommen, auf Textilien verwiesen worden - weil Frauen es angeblich nicht so haben mit dem dreidimensionalen Sehen. Lange genug haben die Zurücksetzungen, die kleinen Kränkungen die Selbstzweifel der jungen Frau genährt. Nun erfährt sie in einem, dass ihr Talent fürs Bauen kein geringes ist - und dass auch das ihr nicht helfen wird. Wie Sexismus in Kultureinrichtungen funktioniert, kann man in "Blaupause" nachlesen und wird, wenn man durchhält, mit zwei filmreifen Pointen beschenkt.

Die gebauten Sinnbilder der Moderne folgen einem Irrglauben, "höher, größer, phallischer"

Leider hat Theresia Enzensberger auf jede Anlehnung an den Ton der selbstbewussten Autorinnen jener Jahre verzichtet. Keine Spur von der Süffisanz einer Gabriele Tergit, dem Witz einer Irmgard Keun, der unterhaltlichen Virtuosität Vicky Baums. Wenn sie leidenschaftlich wird, wenn Walter Gropius fragt, wie sie denn vom Bauhaus erfahren habe, dann klingt Luise Schilling so: "ich erkläre, dass mein Vater gusseiserne Pfetten herstellt, was ihn in regelmäßigen Kontakt mit den moderneren Berliner Architektenbüros bringt, unter anderem mit dem von Peter Behrens. Die Entwicklungen in Weimar werden dort mit großer Aufmerksamkeit verfolgt." Betulicher kann man das Neue, die Emanzipation, die Zukunft nicht herbeisehnen. Die gut informierte Umständlichkeit verhindert, dass Schauplätze, Figuren anschaulich werden. Sie ersticken unter den Details. Peter Behrens wird erwähnt, obwohl er weiter keine Rolle spielt. Diese Prosa folgt zu oft der Logik des Lexikoneintrags, aber nicht der Gewalt der Gefühle, Situationen, Überzeugungen,

Ein Anhang - "Aus Luise Schillings Nachlass" - verrät deren weiteres Schicksal. Von gleich zwei Bauhaus-Direktoren enttäuscht, wandert Enzensbergers sympathische Heldin 1927 in die Vereinigten Staaten aus, arbeitet dort auch für die New Yorker Baubehörde. Eines Tages hat sie die Gelegenheit, sich zu rächen. Vor allem aber überführt sie ihre frühe Skepsis gegenüber Fortschrittskult und Architektenkaltschnäuzigkeit in eine Jane-Jacobs-artige Kritik an Großprojekten. Sie glaubt, dass die wenig kristallenen Sinnbilder der Moderne einem Irrglauben folgen, "höher, größer, phallischer".

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Quelle:
SZ vom 27.07.2017
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