Süddeutsche Zeitung

"Das Mädchen mit den goldenen Händen" im Kino:Familiendrama zwischen Ost und West

Lesezeit: 3 min

Corinna Harfouch spielt in "Das Mädchen mit den goldenen Händen" eine Frau, die in der Vergangenheit festhängt.

Von Sofia Glasl

Endlich werden die DDR-Pralinen von damals wieder produziert, jetzt, zehn Jahre nach der Wende. Lehrerin Gudrun Pfaff beißt vergnügt in das Stück vertraute Vergangenheit. "Herrlich muffig, genauso wie früher!" Diese Kindheitserinnerung will sie an ihrem 60. Geburtstag mit Tochter Lara teilen, die extra für die große Fete aus Berlin zurück aufs Dorf gekommen ist. Lara schaut jedoch nur Stiefvater Werner mit gequälter Hilflosigkeit an: "Ich mag doch gar kein Marzipan."

So sehr sie sich über das Wiedersehen freuen, es hakt zwischen Mutter und Tochter, und beide verfallen in alte Rollen. Gudrun ist ein Kontrollfreak und will Laras Geburtstagsrede verbessern, als wäre sie ein Schulaufsatz. Lara ist schon früh in die Großstadt gezogen, um sich von der Übermutter zu lösen, weil diese ihr weiterhin verschweigt, wer ihr leiblicher Vater ist. Geduldig und behutsam erzählt die Schauspielerin Katharina Marie Schubert in ihrem Regiedebüt "Das Mädchen mit den goldenen Händen" von diesem verästelten Konflikt, der tief sitzende Kränkungen und ein Gefühl der Verunsicherung umeinander kreisen lässt. Dabei pendelt sie mit den Bewegungen dieser Identitätsverhandlungen zwischen familiären Konstellationen, übergreifenden Generationsfragen und dem Dilemma zwischen Ost- und Westdeutschland, das auf dem Land noch präsenter ist als in der Stadt.

Für das Leben der Tochter im wiedervereinigten Berlin hat die Mutter nur Spott übrig

Hier in der Provinz sind die Uhren zwischen DDR-Vergangenheit und den Verheißungen der Wende regelrecht hängen geblieben. Muff hängt auf beiden Seiten, nur die Vertrautheit ist dahin. Großstädter werden mit einem Naserümpfen empfangen. Lara zählt mittlerweile dazu, auch für ihre Mutter. Deshalb bespöttelt sie die Tochter immer wieder für ihren Garderobenjob an der Berliner Oper. Die große Karriere sieht für sie anders aus. Dass Lara sich nebenher als Schriftstellerin einen Namen gemacht hat, ist an ihr vorbeigegangen. Immer wieder schaut Lara sehnsuchtsvoll auf ihr liebevoll eingewickeltes Päckchen - ihr erster Roman, gerade erschienen, er sollte eine Überraschung sein. "Das mit den Geschenken mache ich später in Ruhe," sagt Gudrun, doch Ruhe kehrt hier nie ein.

Sie feiert ihren Geburtstag im renovierungsbedürftigen Kinderheim, in dem sie aufgewachsen ist. Der gesamte Freundeskreis hat ihr allerdings verheimlicht, dass der Bürgermeister das Gebäude an einen Investor verkaufen will. Dieser nostalgische Zufluchtsort soll bald luxussaniert werden, um die Wirtschaft anzukurbeln. Das wäre auch für den Sohn ihrer Freundin Kathi eine Erleichterung, weil er dann endlich wieder Arbeit hätte. Gerade hatte Gudrun ihm noch kleine Aufträge zugeschustert, um ihm zu helfen. Jetzt, da es um ihre Kindheitserinnerungen geht, ist Schluss mit der Unterstützung. Freunde und Familie stößt sie auf ihrer Feier vor den Kopf und flieht. Ein Fahrradunfall zwingt sie, kurz innezuhalten, und wirkt letztlich wie ein Vergrößerungsglas für all die hinter ihrem störrischen Pragmatismus versteckten Emotionen. Corinna Harfouch ringt dieser rauen und wenig herzlichen Figur dennoch eine spröde Güte ab, an der sich Birte Schnöinks Lara mit nervöser Beharrlichkeit abarbeitet.

Das macht Gudrun in all ihrer Sperrigkeit doch zugänglich. Für sie ist der ständige Umbruch zur Konstante geworden: Geboren kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, aufgewachsen in einem Kinderheim in der DDR, soll sie nun im wiedervereinigten Deutschland alt werden, in dem aus dem Radio besorgt-informierende Stimmen über den Jahrtausendwechsel sprudeln. Der Millenium Bug drohe möglicherweise allen Computern und könnte die Welt ins Chaos stürzen. Gudrun packt unterdessen achselzuckend ein C25 aus, den Renner auf dem Handymarkt.

DDR-Pralinen, Dualband-Handys und Y2K, Schubert verbindet Wiedererkennungsmomente aus Ost und West mit einer wohlwollend schmunzelnden Leichtigkeit. All diese Themen schwingen für Familie Pfaff immer mit, drängen aber nicht ständig an die Oberfläche. Diese vor allem auch emotional ineinander verschlungenen Perspektiven bändigt Schubert in ihrem Drehbuch formal in drei Kapiteln. Ansonsten lässt sie die Handlungsstränge sich frei entwickeln, manchmal auch ruhen und trifft in diesem zwanglosen Rhythmus einen gänzlich klischeebefreiten, weil organischen und menschlichen Ton. Gerade diese Gleichzeitigkeit von Gefühlen, Befindlichkeiten und Alltäglichkeiten macht dieses Mutter-Tochter-Gespann jenseits all der Aufarbeitungsdramen und Ostalgie-Komödien der letzten Jahrzehnte so echt. Schubert sucht nach einem wohlwollenden Miteinander auf allen Ebenen, für das man nicht alles am Gegenüber verstehen oder gar geradebiegen muss. Es reicht oft schon, ihm das aufrichtige Gefühl zu vermitteln, gesehen und ernst genommen zu werden.

Das Mädchen mit den goldenen Händen, Deutschland 2021 - Buch und Regie: Katharina Marie Schubert. Kamera: Barbu Bălăşoiu. Mit: Mit Corinna Harfouch, Birte Schnöink, Peter René Lüdicke, Jörg Schüttauf. Wild Bunch, 107 Minuten. Kinostart: 17. Februar 2021.

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