Süddeutsche Zeitung

Comic:Von Gir zu Moebius

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Von CHRISTOPH HAAS

Ein Meister, der vom Himmel fiel, war Jean Giraud nicht. Aber sein überragendes Talent ließ sich ganz früh erahnen. Mit 18 Jahren veröffentlichte er seinen ersten, kurzen Comic: Ein dicklicher Arbeiter mit Schiebermütze bohrt mit seinem Presslufthammer atemberaubend laut eine Straße auf; die Anwohner sind schwerstens genervt; ein energischer Herr mit Anzug und Krawatte schnappt sich schließlich das Gerät und meißelt in großen Buchstaben das Wort "SILENCE" in den Asphalt. Innovativ ist der Gag nicht gerade, aber sowohl darin, wie diese acht Panels jeweils gestaltet sind, als auch in ihrer durchdachten Anordnung auf der Seite zeigt sich, wie gut Giraud schon die Regeln des Mediums, in dem er sich ausdrücken wollte, beherrschte.

Das kleine Debütwerk findet sich, wie die meisten anderen Beiträge zum ersten Mal auf Deutsch, in dem Band "Von Gir zu Moebius" ( Splitter Verlag, 25 Euro), der Arbeiten aus der Zeit zwischen 1956 und 1979 versammelt. Es ist eine bunte Mischung: Cowboys und Indianer, Ausflüge in die Weltgeschichte, Humoristisches und Parodistisches, sogar ein Fotoroman, in dem René Goscinny auftritt, in seiner Funktion als Chefredakteur der Zeitschrift Pilote. Brosamen vom Tisch eines Genies, aber selbst wer Giraud/Moebius schon gut kennt, sieht nach der Lektüre, auch wegen des ausgezeichneten Nachworts, einige Aspekte klarer als zuvor. Berühmt geworden ist der Zeichner in seiner Doppelidentität bekanntlich mit Western- und Science-Fiction-Comics. Hier aber wird mehrfach deutlich, wie wichtig für seine Entwicklung das MAD der Fünfziger sowie André Franquin ("Spirou & Fantasio") und Morris ("Lucky Luke") waren. Realistisch gezeichnete Comics können schrecklich steif wirken. Dass dies bei Giraud/Moebius nie der Fall ist, verdankt sich nicht zuletzt der unterschwelligen Affinität zum Semi-Funny.

Aufs Neue verblüffend ist zudem die sprunghafte Entwicklung Girauds, erst Mitte der Sechziger, dann Anfang der Siebziger. "Der Smaragdsee" aus dem Jahr 1966 markiert, wie die zur selben Zeit entstandenen "Blueberry"-Alben, den magischen Moment, wo Giraud sich vom mächtigen Vorbild seines Lehrmeisters Jijé ("Jerry Spring") löst und plötzlich zu sich selbst findet. Als Moebius zeigt er sich dann mit den amerikanischen Underground-Comix vertraut: In dem psychedelisch kolorierten Zweiseiter "Musik rund um die Uhr" tritt ein frustrierter Straßengeiger auf, der mit seinem langen Bart exakt wie Robert Crumbs Hippie-Ikone Mr. Natural ausschaut.

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SZ vom 13.06.2020
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