Süddeutsche Zeitung

Frankreich:"Shoah"-Regisseur Claude Lanzmann ist tot

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Der französische Journalist und Filmemacher Claude Lanzmann ist tot. Der Regisseur des mehrfach preisgekrönten Holocaust-Dokumentarfilms "Shoah" von 1985 starb im Alter von 92 Jahren, wie sein Verlag Gallimard in Paris mitteilte. Lanzmann setzte sich Zeit seines Lebens in Deutschland und Frankreich für die Erinnerungskultur ein.

Claude Lanzmann wurde 1925 in Paris als Sohn eines Dekorateurs geboren. Seine Großeltern waren jüdische Immigranten aus Osteuropa. Während des Zweiten Weltkrieges schloss er sich 1943 der französischen Résistance gegen die nationalsozialistische deutsche Besatzungsmacht an und beteiligte sich an Partisanenkämpfen. Nach dem Krieg setzte er sein in Paris begonnenes Philosophiestudium fort.

1948 und 1949 war Lanzmann als Lektor an der neu gegründeten Freien Universität im Westen Berlins tätig. Großen Ärger bei der Universitätsleitung und der französischen Militärregierung in der Vier-Sektoren-Stadt handelte er sich mit einem Antisemitismus-Seminar ein, das er auf Wunsch der Studenten abhielt, sowie mit einem Artikel über Missstände an der Freien Universität, der Anfang 1950 in der "Berliner Zeitung" im sowjetisch kontrollierten Ostsektor Berlins erschien.

Gut 20 Jahre lang war Lanzmann danach als Journalist tätig, schrieb für die Zeitung France-Soir ebenso wie für große Magazine wie Paris Match und Elle. Seit Beginn der 1950er Jahre lebte Lanzmann wieder in Paris und zählte zum engen Freundeskreis um den existenzialistischen Philosophen Jean-Paul Satre und dessen Lebensgefährtin Simone de Beauvoir, den Gründern des linksintellektuellen Magazins Les Temps Modernes. Lanzmann gehörte zunächst zum Redaktionskollektiv und wurde nach de Beauvoirs Tod 1986 selbst Herausgeber der berühmten Monatszeitschrift.

Unter dem Eindruck eines aufkeimenden linken Antisemitismus nach den Studentenrevolten 1968 begann er, sich intensiv mit dem Holocaust auseinanderzusetzen. Zu dem Themenkomplex drehte er eine hoch gelobte Filmtrilogie, die 1973 mit seinem Regiedebüt "Pourquoi Israel" ("Warum Israel") begann, worin er sich mit dem Selbstverständnis des Staates Israel befasste. Weltweite Berühmtheit bescherte ihm der zweite Teil, "Shoah", von 1985, ein neunstündiger Dokumentarfilm, dessen Titel das hebräische Wort für "Katastrophe, Vernichtung" auch in anderen Sprachen als Synonym für den NS-Völkermord an sechs Millionen europäischen Juden etablierte.

Für den Film hatte Lanzmann zwölf Jahre gebraucht und 350 Interviewstunden mit überlebenden Opfern, Tätern und Beobachtern aufgezeichnet, wobei er auf jegliches Archivmaterial verzichtete und ausschließlich Zeitzeugen zu Wort kommen ließ. Diese mussten das Erzählte nochmals durchleben und machten den Film so zu einem "ursprünglichen Ereignis", wie Lanzmann es nannte. Die Berlinale-Jury, die Lanzmann 2013 den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk verlieh, würdigte "Shoa" als "epochales Meisterwerk der Erinnerungskultur".

Noch im vergangenen Jahr hatte Lanzmann beim Filmfestival in Cannes außer Konkurrenz den Dokumentarfilm "Napalm" präsentiert, für den er 2004 und 2015 in das diktatorisch geführte Nordkorea gereist war.

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