Süddeutsche Zeitung

China:Angst vor Papier

In Peking sollte ein 800 Jahre altes Exemplar der Magna Carta gezeigt werden. Doch das Regime wurde nervös.

Von Tobias Sedlmaier

China hat einmal mehr bewiesen, wie sehr es sich vor allen Symbolen der westlichen Demokratie fürchtet. In der Renmin-Universität in Peking sollte diese Woche eine der wenigen erhaltenen Kopien der Magna Carta öffentlich präsentiert werden. Stattdessen wurde die Ausstellung spontan und ohne Erklärung in den Sitz des britischen Botschafters verlegt, wie die New York Times berichtet. Zusätzlich wurde das Kartenkontingent für die Öffentlichkeit reduziert und die Öffnungszeit verkürzt.

Die Magna Carta, die 1215 von König Johann von England verabschiedet wurde, gilt als eines der wichtigsten frühen Dokumente konstitutioneller Individualrechte. In ihr wurden unter anderem die Bindung des Herrschers an das Gesetz und Eigentumsrechte festgelegt. Beeindruckend: Was in Europa heute kaum mehr als ein Achselzucken hervorruft, stellt für das kommunistische Regime von heute anscheinend noch immer eine offene Bedrohung dar. 2013 legte die Parteiführung sieben Themen fest, die für ihre Mitglieder tabu waren - das erste davon waren westliche Demokratievorstellungen. Auf Sina Weibo, dem chinesischen Twitter-Pendant, sind Informationen über die Magna Carta zensiert.

Die Ausstellungstour des Schriftstücks ist Teil einer diplomatischen Initiative zwischen Großbritannien und China. Nächste Woche wird der chinesische Präsident Xi Jinping in London zum Staatsbesuch erwartet. Störende Nebengeräusche, verursacht durch einen 800 Jahre alten beschriebenen Lederlappen, sind da wohl für beide Seiten eher unerwünscht.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2015
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