Süddeutsche Zeitung

Bildband:Vorbei, verweht

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Karine Laval mit einer kleinen Motivgeschichte melancholischer Schwimmbäder.

Von Ella Tiemann

Flirrendes Gegenlicht, drei Figuren in schwindelnder Sprungbretthöhe. Jede ihren eigenen Träumereien nachhängend. Beine baumeln über dem Abgrund, der Widerschein des Wassers färbt die Fußsohlen blau. Irgendwann werden sie springen. Doch vorerst dehnt sich der Moment, als seien die Körper noch nicht bereit, sich der Schwerkraft zu ergeben.

Der Swimmingpool ist ein paradoxer Sehnsuchtsort. Eine Architektur zur Zähmung des Wassers. Vom Menschen errichtet, um sein Bedürfnis nach Kühlung und Vergnügen zu befriedigen. Jedoch, da ist etwas, das seinen Reiz ins Gegenteil verkehren kann. In höchstem Maße auf Zuwendung angewiesen, verliert er seinen Zauber, wenn die Fürsorge des Menschen aussetzt. Das gilt besonders für jene Schwellenzeit des Jahres, in der die Sonne den Höchststand verfehlt, der Wind auffrischt und das Laub der Bäume davonträgt. Nur allzu schnell verselbständigt sich dann das Pool-Biotop, wuchert, keimt, wächst sich zum Symbol der Vernachlässigung aus.

Die Dichotomie aus Vergnügen und Verfall faszinierte schon F. Scott Fitzgerald, der Gedeih und Verderb seiner Hauptfigur in dem Roman "The Great Gatsby" an einem Swimmingpool inszenierte. Jay Gatsby zelebriert den amerikanischen Traum, den er lebt, vor der Kulisse seines Schwimmbades und steigt doch am Ende nicht mehr aus dem Becken. In Frank Perrys Film "The Swimmer" wird der Swimmingpool zum Motiv einer gequälten Seele. Burt Lancaster krault in Endlosschleife durch sämtliche Swimmingpools einer Villengegend von Connecticut. Das Schwimmen wird zur Obsession - der Schwimmer kann seiner Traumwelt nicht entkommen, nicht begreifen, dass sein Haus verkauft und die Familie ihm davongelaufen ist.

In den Arbeiten der französischen Künstlerin und Fotografin Karine Laval ist der Pool Schauplatz von Untersuchungen des modernen Lebens und seiner Widersprüche. Seit zehn Jahren fotografiert Laval Schwimmbäder auf der ganzen Welt. Der Bildband "Poolscapes" versammelt mehr als hundert dieser Fotografien. Lavals Kamera richtet sich auf besondere oder unauffällige architektonische Details, auf öffentliche Badeanlagen oder private Poollandschaften. Ihre Bilder offenbaren all die komplexen widersprüchlichen Emotionen, die mit dem Motiv verbunden sind. Exhibitionismus und Voyeurismus. Geselligkeit und Einsamkeit. Protz und Scham. Auch ihre eigenen Assoziationen: "Die Angst vor dem Tod, die Anziehungskraft der Gefahr, unsere persönliche Verwandlung, wenn wir älter werden."

Ihre Bilder entstehen mit einer Rolleiflex, einer Mittelformatkamera von 1929. Sie erzeugt Bilder in blassen Farben, stärkerem Rot und grober Körnung. Ein surrealer Effekt, der das Theatrale ihrer Arbeiten verstärkt.

Mal ist sie reine Beobachterin der Menschen, die am Rande der Becken wie auf einer Bühne auf- und abtreten, mal ist sie Regisseurin ihrer Szenen. Die jüngsten Arbeiten sind Aufnahmen in Fire Island, New York. Die Pools sind unbelebt, vernachlässigt, baufällig. Die Bilder zeigen den Zerfall als Spiegelung an der Wasseroberfläche - verwilderte Gärten überwuchern ihre Ränder, Laub sammelt sich um heruntergekommenes Mobiliar. Wie der Bote eines vergangenen Sommers, eine federleichte Erinnerung, treibt eine gelbe Luftmatratze am unteren Bildrand.

Karine Laval: Poolscapes. Steidl -Verlag, Göttingen 2018. 128 Seiten, 38  Euro.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2018
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