Süddeutsche Zeitung

Bildband "Der Erste Weltkrieg in Farbe":Kolorierter Abgrund

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Die Technik der Farbfotografie war vor einhundert Jahren noch nicht weit verbreitet - aber es gab sie. Ein empfehlenswerter Bildband vermittelt eine Ahnung von dem Abgrund, der der Erste Weltkrieg war.

Von Joachim Käppner

Der Erste Weltkrieg ist, 100 Jahre nach seinem Beginn, ein geschichtspolitisches Thema ersten Ranges geworden. Dennoch erscheint er unwirklich, so fern vom digitalen Zeitalter, dem friedlichen Europa der Union (das fassungslos die Vorgänge in der Ukraine betrachtet gleich einem fernen Spiegel des Kontinents von 1914), und das liegt nicht nur daran, dass es kaum mehr Zeitzeugen gibt.

Wären nicht die Verwerfungen im äußersten Osten des Kontinents samt ihrer nationalistischen und irrationalen Triebkräfte, die in vielem an 1914 erinnern - der Erste Weltkrieg wäre trotz aller Bücher und Filme so fern wie der Untergang Roms, vielleicht sogar ihretwegen.

Die alten Bilder, schon gar die Filme von damals sind oft verwackelt, unscharf und vor allem gestellt, aus propagandistischen Gründen ebenso wie wegen der langen Belichtungszeiten. Und vor allem sind sie meistens schwarz-weiß - was im Youtube-Zeitalter auf viele bald so fremdartig wirkt wie eine Wandmalerei aus Pompeji.

Komponiert wie die damaligen Schwarz-Weiß-Bilder

Es ist wenig bekannt, dass es 1914 schon Farbfotografien gab, dank des ab 1907 etablierten Autochrom-Verfahrens. Das alles war mühsam, kompliziert und noch nicht tauglich für die Massenproduktion - aber es gibt sie eben doch: echte, also nicht nachkolorierte Farbaufnahmen aus dem Krieg, der das stolze alte Europa einstürzen ließ.

In einem empfehlenswerten Bildband des Taschen-Verlages sind solche Fotos gesammelt zu betrachten: das zerstörte Verdun, ein kleines Mädchen vor Gewehren, die ersten Panzer, die Gräuel der Verwüstung. Und zerstörte Landschaften, ein zertrümmertes Nichts, aus dem alle Farbe gewichen ist.

Bilder bedeutender Autochromfotografen sind hier versammelt, von Flandern über Palästina bis in die USA. Das Grauen selbst aber, Leichen, zerfetzte Gliedmaßen, entstellte Verwundete - zeigen auch diese Fotos sehr selten. Die meisten sind komponiert wie die schwarz-weißen Bilder auch. Selbst in Farbe betrachtet, lässt der Krieg den Abgrund nur ahnen, der er war.

Peter Walther: Der Erste Weltkrieg in Farbe . Taschen Verlag, Köln 2014. 384 Seiten, 39,99 Euro.

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Quelle:
SZ vom 29.07.14
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