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Bestseller "The Hunger Games":Heldin, nicht nur für einen Tag

Lesezeit: 4 min

Vier Wochen auf Platz eins in den US-Kinos und 36,5 Millionen verkaufte Bücher: "The Hunger Games" erweist sich als wahrer Kassenschlager. Die Heroin des Films steht für einen neuen, rebellischen und dabei autarken Mädchentyp. Gerade deswegen erfreut sich die Coming-of-Age-Sage besonders bei amerikanischen Feministinnen großer Beliebtheit.

Petra Steinberger

Es ist eine Nation, in der sich unglaublicher Reichtum in den Händen einiger weniger konzentriert. Der Graben zwischen den vielen Armen und diesen wenigen Reichen ist gewaltig. Damit die Armen sich nicht erheben, werden sie unter anderem durch perfide Spiele im Reality-TV ablenkt und in Zaum gehalten. Bis hierhin könnte dieses Szenario, ein wenig überspitzt, die Situation in diversen autoritären Dritte-Welt-Staaten darstellen. Aber vielleicht könnte es auch, betrachtet aus der Sicht vieler linker Aktivisten, die Zustände in den USA, vielleicht in Griechenland und einigen anderen Ländern aus dem reicheren, demokratischen Teil der Erde widerspiegeln.

Also war es auch nicht sehr überraschend, dass der amerikanische Teenie-Schauspieler Penn Badgley nach dem Kinobesuch von "Hunger Games" erklärte, dass es sich bei den Ausrichtern der "Hungerspiele" natürlich um das berüchtigte "eine Prozent" handle, welches die Kids in den Tod treiben würden.

"Man muss blind sein, um das nicht zu erkennen", sagte er. Und jeder wusste sofort, was gemeint war. Dieses "eine Prozent", "The One Percent" ist eine amerikanische Dokumentation von 2006, in der es um jene Amerikaner geht, die mehr als 40 Prozent des gesamten Reichtums der USA kontrollieren. Und einer der beliebtesten Polit-Slogans der "Occupy Wall Street"-Bewegung bezieht sich darauf: "Wir sind die 99 Prozent".

"The Hunger Games" ist der Film nach dem gleichnamigen ersten Buch der Trilogie (zu Deutsch: "Die Tribute von Panem") um die junge Heldin Katniss Everdeen, die in einem dystopischen Land namens Panem mit 23 anderen Jugendlichen zwischen zwölf und 18 Jahren in eine Freiland-Arena geschickt wird, wo sie gegeneinander antreten müssen - bis zum Tod. Und live.

Katniss wird diesen ersten Kampf gewinnen. Und viel später, im dritten Teil der Trilogie, wird sie schließlich das unterdrückte Volk von Panem hinter sich vereinen und zur Galionsfigur eines blutigen Aufstands werden. Nicht ganz freiwillig. Sie wird Selbstzweifel haben, mit ihrer Rolle hadern, denn in ihrem Namen wird von den Aufständischen Gewalt verübt. Eine bessere Allegorie auf "Occupy" kann es kaum geben, könnte man meinen.

"The Hunger Games" schlägt "Titanic"

Der Erfolg von Film und Büchern spricht dafür, dass sich hinter der klassischen Coming-of-Age-Sage eines jungen Mädchens noch mehr verbirgt. "Hunger Games" mache süchtig, sagen längst nicht mehr nur die Teenager, die Buch und Film zum Bestseller gemacht haben.

In den USA ist der Film nun schon in der vierten Woche in Folge auf Platz eins, hat sogar "Titanic" geschlagen - allein das ist ein Indikator dieses Erfolges. Der andere sind die Zahlen, die der US-Verlag Scholastic Ende März herausgegeben hat: 36,5 Millionen Bücher der Trilogie wurden bereits verkauft. Das Phänomen "Hunger Games" überrollt Amerika in einer Weise, dass eine populäre Website für Babynamen schon prognostiziert, die Namen der Protagonisten könnten zu den beliebtesten des Jahres 2012 werden. Selbst der Soundtrack des Films führte zeitweise die amerikanischen Billboard-Charts an.

Nicht nur der Teenie-Star Badgley erkennt in Film und Büchern ein Symbol für Widerstand gegen das System. Zahllose Blogger, Professorinnen, Feministinnen, Kritikerinnen, und vor allem Frauen haben in den letzten Monaten erklärt, dass sie, als Erwachsene, die Bücher verschlungen hätten. Das klang bei vielen erst wie eine Beichte - etwa: Ich gebe es zu, ein bisschen peinlich ist es ja schon, auch ich habe diese Bücher gelesen.

Inzwischen brüstet man sich damit. "Ich bin ein wahnsinniger Fan", schreibt die in der linken Bewegung sehr angesehene Feministin und Autorin Katha Pollitt in The Nation. "Warum ich mir Hunger Games zweimal angesehen habe", das erklärt Laura Brounstein, Herausgeberin des Magazins Self begeistert in der Huffington Post.

"Hunger Games" zieht Inhalte, Ideologien, Welterklärungen an, lädt sich mit Bedeutung auf, weil seine Geschichte es so offen ist. Man kann diese als Allegorie auf die Ungerechtigkeiten des Spätkapitalismus deuten - und die kapitalismuskritische "Occupy"-Bewegung bekäme mit der Figur von Katniss das weibliche Gesicht, das sie bisher noch nicht gefunden hat.

Man kann sie aber auch als Satire auf die Reality-TV-Welt lesen, von "American Idol" bis zu jenen Serien wie "Keeping Up With The Kardashians" und "Jersey Shore", für die Kamerateams jede nur erdenkliche Peinlichkeit im Alltag halbseidener Prominenter aufzeichnen. Für die "Hunger Games" werden junge Menschen von Stylisten mit einem bestimmten Image ausgestattet, welches ihnen später, im Kampf, die Gunst und die notwendigen Geschenke des dekadenten Publikums bringen soll.

Und man kann diese Geschichte, wie das beispielsweise James Pinkerton, rechtsgerichteter Kommentator bei Fox News getan hat, auch als Angriff auf "Big Government" lesen - als Angriff also auf jenen angeblich übermächtigen Staatsapparat in Washington, den die Republikaner so gerne los wären.

Gegenentwurf zu "Prinzessinnen"-Schema

Dabei beschreibt Pinkerton, als wolle er selbst gleich der "Occupy"-Bewegung beitreten, den Film als eine Zeitgeist-Epos: "Als Indikator der Gefühle von Jugendlichen könnte der Film den zukünftigen politischen Wandel prophezeien und beschleunigen." Ist "Hunger Games" also nur ein Spiegel, in dem sich jeder als Schönster im Land entdecken kann?

Nicht ganz: Denn da ist Katniss Everdeen, die Heldin. Sie steht für einen neuen, rebellischen und dabei autarken Mädchentyp. Sie ist das, was man einen "tomboy" nennt, hat Züge, die normalerweise für männliche Helden reserviert wird - sie jagt und versorgt ihre kleine Schwester und ihre Mutter. Und sie tut das nicht um des einen oder anderen Jünglings wegen - auch wenn das unausweichliche Liebesdreieck viele ihrer Teenyfans am allermeisten interessiert. Sie tut alles des Überlebens willen, für sich, für ihre Familie, für den Widerstand gegen das System, wie dieser auch interpretiert werden möge.

Kein Wunder, dass gerade amerikanische Feministinnen der zweiten Generation dieses Mädchen für sich entdecken - und sich von ihr endlich einen mächtigen Gegenentwurf zum übermächtigen "Rosa Prinzesschen"-Schema erhoffen. Sicher, da gab es schon Bella aus der "Twighlight"-Saga, die einen vergleichsweise neuen Mädchentyp darstellte. Aber im Vergleich zu Katniss ist sie eine eher passive Figur, die alles der Liebe wegen tut. Das gilt bis zum Schluss, an dem sich, in einer merkwürdigen Umkehrung der Verhältnisse, Bella in eine Vampirin verwandelt und Katniss den Braveren der beiden Rivalen heiratet.

Die längste Zeit jedoch ist Katniss jener "Shero", der weibliche Archetyp des Helden, den Joseph Campbell in seinem epochalen Buch "Der Heros in tausend Gestalten" so vermisste. Campbell beschrieb darin die Heldenreise durch die Epochen - und fand keine weiblichen Entsprechungen. Katniss könnte eine der neuen Heldinnen sein, die das ändern. Und dann ist es wohl egal, ob sie das für "Occupy" tut oder für die Tea Party.

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Quelle:
SZ vom 17.04.2012
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