Süddeutsche Zeitung

Theater:Gut gemeint

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Frauenquote, Ökologie, Zukunftsangst: Das Berliner Theatertreffen sucht in komplizierten Zeiten nach einer Neuorientierung der Branche.

Von Peter Laudenbach

Die gute Nachricht zuerst: Das Berliner Theatertreffen tut alles in seinen Möglichkeiten Stehende, um die Welt mittels Nachhaltigkeit und Achtsamkeit zu retten. Aber dass der biologisch abbaubare Preispokal, gepresste Erde mit Pflanzensamen, entscheidend zur Biodiversität des Planeten beiträgt, glaubt hoffentlich nicht einmal die Festspielleitung. Der Effekt solch symbolischer Ersatzhandlungen dürfte sich in Signalen des guten Willens und in der Selbstveredelung des Kulturbetriebs erschöpfen: Wir sind die Guten. Auch dass die Festivalbesucher vor jeder Vorstellung per Mail ermahnt werden, sich zu benehmen, lässt den pädagogischen Ehrgeiz der Intendanz erkennen: Weltverbesserung durch Publikumsbelehrung. Das klingt in der amtlichen Mail der Erziehungsbeauftragten von den Berliner Festspielen dann so: "Jede Form von rassistischer, sexistischer und auf andere Weise diskriminierender oder diskreditierender Sprache und Verhalten kann ohne Vorankündigung zum Ausschluss aus den Veranstaltungen des Festivals führen." Offenbar traut die Festspielleitung ihren Gästen jederzeit einen Ausraster zu. Was passiert eigentlich, wenn die Ausraster auf der Bühne stattfinden? Zum Glück für die Intendanz bleibt das Theatertreffen in diesem Jahr vom Wokeness-Verweigerer Castorf und anderen schwer erziehbaren Künstlern verschont.

Thema der Pausengespräche: die obszönen Gagen alternder Großregisseure

Löblich ist ohne Frage, dass die Festspiele die CO₂-Bilanz des Theatertreffens senken und betonen, dass sie Flüge nach Möglichkeit vermeiden wollen. Wie der japanische Regisseur Toshiki Okada und der Musiker Kazuhisa Uchihashi zum Schlussapplaus ihrer Festivalaufführung "Doughnuts" angereist sind, fragt man besser nicht so genau. Dass die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Theater nicht unbedingt kleiner ist als in anderen Branchen, führt in erfrischender Klarheit der Bochumer Intendant Johan Simons vor. In einer kleinen Rede nach dem Schlussapplaus für die Festivaleröffnung, Christopher Rüpings Bochumer Inszenierung "Das neue Leben", fordert er die Zuschauer in bester Hippie-Manier auf: "Geht nach Hause und liebt euch." In den Pausengesprächen geht es dann allerdings mehr um die jüngste Vertragsverlängerung des 76-jährigen Simons, der bis 2026 im Amt bleibt, und um Pressemeldungen über seine fürstlichen Bezüge. Make Love? Make Cash!

Etwas mehr Transparenz und Zurückhaltung beim robusten Erwerbsstreben wäre zumindest bei den Großverdienern der Branche hilfreich. Und das nicht nur, weil während des ganzen Festivals ein großer, hässlicher Elefant im Raum herumstand: Die Frage, ob und wie heftig die von Corona- und Kriegskosten gebeutelten öffentlichen Haushalte wohl Schnitte an ihren Kulturbudgets vornehmen werden. Wenn das Theater schon nicht die Welt retten kann, wäre es ja ganz schön, wenn es wenigstens sich selbst retten könnte. Zum Beispiel mit gutem Theater. Oder mit etwas Anstand. Wie Letzteres geht, hat Yvonne Büdenhölzer in den elf Jahren, in denen sie das Theatertreffen geleitet hat, ziemlich vorbildlich gezeigt. Man will sich nicht vorstellen, wie das Festival die beiden Corona-Jahre ohne ihren offenbar unzerstörbaren Optimismus, ihre Nerven aus Drahtseilen, ihre fraglose persönliche Integrität und ihre leise, kluge Kunst der Betriebsdiplomatie überstanden hätte. Dass sie 2019 für die zehn zum Theatertreffen eingeladenen Inszenierungen eine Frauenquote von 50 Prozent bei den Regiekräften eingeführt hat, war mehr als ein Symbol dafür, dass das Theater sich zumindest Mühe gibt, langsam in der Gegenwart anzukommen. Die Regie-Frauenquote beim Branchenfestival löste kurz ein Grummeln aus in der männlichen Traditionsfraktion und ist heute eine weithin akzeptierte Selbstverständlichkeit. Damit hat Büdenhölzer nicht nur das Theatertreffen verändert, sondern ein Signal in den immer noch von überproportional vielen männlichen Führungskräften gelenkten Theaterbetrieb gesendet. Dem Theatertreffen ist das gut bekommen. Dass Büdenhölzer dort jetzt aufhört, ist ein echter Verlust für die Berliner Festspiele.

Auf die Idee, dass die Schauspielkunst der Kern des Theaters ist, kommt man beim diesjährigen Theatertreffen nicht unbedingt

Und das Theater beim Theatertreffen? Um es höflich zu sagen: dass die Kritikerjury in Corona-Zeiten bei ihren Einladungen aus einem runtergefahrenen Angebot auswählen musste, war nicht ganz zu übersehen. Auf die Idee, dass die Schauspielkunst der Kern des Theaters ist, kommt man beim diesjährigen Theatertreffen nicht unbedingt. Stattdessen dominieren Konzeptinstallationen (etwa mit Helgard Haugs Demenz-Stück "All right. Good night", Signa und Arthur Köstlers "Die Ruhe" und Toshiki Okadas komisch trostloser Hotel-Lounge-Depression "Doughnuts"), eine Cancel-Culture-Farce in Musicalform (Yael Ronens großartiges "Slippery Slope"), Atmosphären-Geraune (Rüpings "Das neue Leben") oder Lektionen in Neoliberalismuskritik (Volker Löschs "Der Tartuffe oder Kapital und Ideologie"). Ein genauer, gänzlich voyeurismusfreier Blick in Unterschichtslebensverhältnisse und von Anfang an beschädigte Biografien gelingt Lukas Holzhausen mit seiner Adaption von Christian Barons autobiografischem Roman "Ein Mann seiner Klasse". Dass Theater sogar Spaß machen kann, beweist Claudia Bauer mit ihrer furioser Liebeserklärung an Ernst Jandls Sprachspiele, eine Co-Alkoholiker-, Künstler- und Lebenskünstler-Komödie im Konjunktiv mit dem schönen Titel "humanistää!". Schon für diesen tollen Abend hat sich der ganze Aufwand gelohnt. Prämiert wird er auch: Samouil Stoyanov erhält für seine Leistung darin den Alfred-Kerr-Darstellerpreis von der Jurorin Valery Tscheplanowa zugesprochen.

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