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Chef der Berliner Philharmoniker:Der Neue ist ein Stiller

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Von Helmut Mauró

Er sei eher ein Spätromantiker, sagte der Dirigent Kirill Garrijewitsch Petrenko schon vor Jahren, und so ist es vielleicht nur folgerichtig, dass er 2001 mit Richard Wagners Opus summum "Der Ring des Nibelungen" in Meiningen Furore machte; später hat er es in Bayreuth dirigiert. Andererseits kennzeichnet Petrenko nichts treffender als seine Abneigung gegen den "Klangfetischismus der Achtzigerjahre", wie er es vor mehr als zehn Jahren formulierte: Bei der opulenten Tonentfaltung, die jeder Musiker erst mal von sich aus anstrebe, ginge manchmal der wesentliche Ausdruck verloren. 2007 war das, als er von Berlin Abschied nahm als Generalmusikdirektor der Komischen Oper.

Seither hat der 47-Jährige einen Großteil des europäischen Repertoires studiert und vieles an den größten Häusern dirigiert, bevor er nun triumphal nach Berlin zurückkehrt: als Chefdirigent der legendären Berliner Philharmoniker. An diesem Freitag von 19 Uhr an wird sein Antrittskonzert mit Alban Bergs Lulu-Suite und Ludwig van Beethovens Neunter Symphonie live in 150 Kinos übertragen. Die Wahl von Petrenko als Nachfolger des quirligen Simon Rattle ist typisch für die sich selbst verwaltenden Berliner Philharmoniker. Natürlich wollen sie den Besten, der zu haben ist, aber wie bei jedem Orchester wird auch hier sensibel ausgeforscht, wer von den Besten zum Orchester passt.

Dabei gibt es unterschiedliche Präferenzen: Außenwirkung, Vermehrung des Renommees, aber auch die Art des persönlichen Umgangs, der Probenton, das Menschliche. Das ist nicht immer alles bei einem Künstler zu finden, und so kommt es, dass sich bei den Berlinern der robuste Typ mit Glamourverdacht, den Simon Rattle munter bis clownesk verkörperte, mit dem Gegenkonzept abwechselt, dem leisen Meister, der nicht nur den direkten Draht zur Musik, sondern auch zu den Musikern pflegt. Nicht unbedingt kumpelhaft mit verbalem oder realem Prankenschlag auf die Schulter, sondern eher in freundlicher, warmherziger Zurückhaltung; Claudio Abbado, Rattles Vorgänger, war so ein Typ.

Ein Wermutstropfen für die erfolgsverwöhnten Berliner könnte allerdings auch dabei sein

Kirill Petrenko geht auch in diese Richtung, hält aber noch mehr Abstand zu seiner Umgebung. Das gilt in besonderem Maße für die Öffentlichkeit. Interviews gibt er keine, gab er nur zu Beginn seiner Karriere, und auch da nicht mehr als nötig. Vielleicht spiegelt sich in dieser freundlichen Kargheit auch seine Herkunft aus Omsk im tiefsten Sibirien. Einst verbannte man dorthin Dissidenten wie Fjodor Dostojewski. Petrenkos Vater Garri arbeitete in Omsk als Violinist und Dirigent, die Mutter Olga Dawydowna Weintraub beschäftigte sich wissenschaftlich mit Musik.

Besser kann man es nicht erwischen, wenn man Musiker werden will. Zwei kompetente Elternteile im Haus und draußen kaum Ablenkung vom Studium der Musik. So debütierte Petrenko mit elf Jahren als Pianist mit den Omsker Symphonikern, bei denen der Vater als Konzertmeister die höchste Position gleich nach dem Dirigenten innehatte. 1990, als Achtzehnjähriger, kam er dann mit der Familie ins österreichische Feldkirch, wo er seine Pianistenausbildung beendete. Danach studierte er in Wien, debütierte 1995 mit Benjamin Brittens "Let's Make an Opera". Es folgten Angebote der großen Häuser von Wien bis London. Parallel zu seiner Opernkarriere mit Höhepunkt als Chef der Bayerischen Staatsoper dirigierte Petrenko viele große Symphonieorchester, etwa das Concertgebouw-Orchester oder, schon damals, die Berliner Philharmoniker, die ihn nun zu ihrem künstlerischen Chef erkoren haben.

Ein Wermutstropfen für die erfolgsverwöhnten Berliner könnte sein: Plattenaufnahmen stehen für Petrenko eher hintenan. Seine bisherige Ausbeute umfasst kaum zehn CDs. Ob sich diese Grundhaltung ändern wird, erscheint eher fraglich. Für künstlerische Kompromisse jedenfalls wird Petrenko nicht zu haben sein. Dafür ist er zu seriös.

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SZ vom 23.08.2019
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