Süddeutsche Zeitung

Debüt:In Sekten arbeiten

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Wie der subtile Zwang der kreativen Arbeitswelt sogar Widerstand zur Arbeit am System macht, erzählt Berit Glanz in ihrem anspruchsvoll gebauten Roman "Pixeltänzer".

Von Insa Wilke

Ach, die Kunst. Ach, du blauer Vogel der immer schon überholten Avantgarde, da hast du jetzt also papierene "Zauberwälder" gegen die klimatisierten Großraumbüros der Start-up-Szene getauscht. Dorthin gebeamt hat den Kunst-Vogel die Skandinavistin Berit Glanz, die als Bloggerin und auf Twitter aufgefallen ist, und auf deren ersten Roman einige kundige Menschen deswegen seit einiger Zeit gespannt warten. Jetzt ist er da: "Pixeltänzer", das humorvolle, mit vielen literaturhistorischen Wassern gewaschene, auf gegenwärtig getunte Debüt einer freudig auf Diskurswellen surfenden Autorin. Deren Pixeltänzerin heißt Beta und arbeitet als "Junior-Quality Assurance"-Testerin mit, so ihre Chefs, "Can-Do-Ausstrahlung" für ein ideologisch durchgestyltes Entwickler-Unternehmen.

Berit Glanz hat dieses "Can Do" allerdings als Widerständigkeit konfiguriert, sodass Beta innerhalb des Systems in der Lage ist, es von außen zu betrachten und das mit einem trockenen Humor, mit dem sie insbesondere den Lifestyle ihres Milieus bedenkt. Etwa wenn sie mutmaßt, dass eines ihrer Tinder-Dates seine Kleidung auf die Inneneinrichtung einer Bar abgestimmt hat. Oder wenn Nerds die Natur "furchtbar grün" finden. Beta hat zwar ein Faible für Insekten und Kleintiere, druckt sie aber lieber nach fotografischer Vorlage auf dem 3-D-Drucker aus.

Die Sprache ihres Arbeitgebers klingt natürlich so: "Es ist egal, woher du kommst oder wie alt du bist, Hauptsache, du lebst und atmest Code und wirst ein Teil des Teams." Die sektenartige Rhetorik der Werbebranche funktionierte in den 1990er-Jahren ganz genauso, Rainer Merkels Roman "Das Jahr der Wunder" und Frédéric Beigbeders "Neunundreißig neunzig" erzählten davon. Statt Kommunikations- und Werbeagenturen jetzt also Programmiererinnen, die ihre Arbeit mit "Missionen" verwechseln und deren unbewusstes inneres Glühen bei aller Selbstoptimierung doch dem Nicht-Programmierbaren gilt, der Verzauberung der Welt.

Was den Roman von Berit Glanz von denen unterscheidet, die sich bisher den pseudoliberalen Arbeitswelten der Dienstleistungsgesellschaften gewidmet haben, ist die Struktur. Bislang blieben die Versuche, die technischen und kommunikativen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte literarisch zu übersetzen, meistens unbefriedigend, weil nur Requisiten verschoben wurden. Joshua Cohen und, in der deutschen Literatur, Juan S. Guse sind erfreuliche Gegenbeispiele. Berit Glanz geht nicht so weit wie die beiden es in ihren Romanen "Buch der Zahlen" und "Miami Punk" tun, aber es dürfte schon einigermaßen ausgefeilt sein, wie sie Elemente der Verweis- und Kommentarsysteme des barocken Romans in Programmier- und Managementsprache übersetzt. Man muss das nicht bis ins Letzte nachvollziehen, um das über die Kapitelüberschriften gesteuerte Prinzip zu verstehen.

Die Leserin ist Teil des Spiels, dessen oberste Regel lautet: Du kannst das System nicht schlagen

"NOP - No Operation" heißen beispielsweise die Kapitel, die bei Beta zu Hause spielen, die in der Firma angesiedelten "public static Life". Das sind, so kann man nachschlagen, Befehle aus der Programmiersprache, die Überschriften also Code-Zeilen. Spätere Kapitel heißen "MOV - Move", "WFE - Wait for Event" und "SEV - Set Event". Die meisten Überschriften sind mit Untertiteln versehen, die auf Handlung und Romandynamik vor-verweisen. Textbewegungen und Leserlenkung scheinen offengelegt zu werden, wobei das Ganze nicht systematisch durchgespielt wird, man also nur auf eine Fährte geführt werden soll, um dann der eigenen Neunmalklugheit überführt zu werden. Damit ist man Teil des Spiels, dessen oberste Regel lautet: Du kann das System nicht schlagen.

Diese Erfahrung macht Beta auf der Erzählebene des Romans, der jenseits der sprachlichen Codierungen ganz einfach zweiteilig aufgebaut ist: die eine Hälfte spielt mit Beta in der Gegenwart, die andere, ein Kurz-Roman im Roman, Anfang des 20. Jahrhunderts. Das Scharnier zwischen den beiden Ebenen bildet ein geheimnisvoller Dritter, dem Beta durch eine App begegnet. Als Belohnung für die Lösung jeder der von ihm gestellten Rätselaufgaben liefert er Beta den Fortsetzungsroman der Maskentänzerin Lavinia Schulz, die 1924 ihren Mann und dann sich selbst erschossen hat. Diese Lavinia Schulz, eine historische Figur, stachelt Beta zum Widerstand gegen den Anpassungs- und Handlungszwang an.

Der Vergleich zwischen den ersten beiden Jahrzehnten des 20. und des 21. Jahrhunderts wird häufig gezogen und hinkt immer, weil sich die politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen eben nicht entsprechen. Trotzdem inspiriert er zu Fragen wie dieser: Was unterscheidet eigentlich die Suche nach der neuen Form, von der die Kunst damals besessen war, von dem internalisierten Innovationsdruck der Start-ups? Die Kommerzialisierbarkeit? Der Idealismus? Ach ja?

Der Roman feuert Kommentare zu poetologischen Positionen und Literaturbetrieb ab

Lavinia und Beta, beide auf ihre Weise Rebellinnen gegen die Konventionen ihrer Zeit, befeuern am Ende gerade durch ihren Widerstand die Systeme, die sie aushebeln wollten. "Mindstate Malibu. Kritik ist auch nur eine Form von Eskapismus" heißt die von Joshua Groß und anderen herausgegebene viel beachtete Anthologie, in deren gedankliches Umfeld auch dieser Roman gehört, der permanent Kommentare zu poetologischen Positionen, Leseprozessen und Literaturbetrieb abfeuert.

So weit, so ambitioniert. Aber "Pixeltänzer" hat markante Sollbruchstellen. Die Briefe, die Beta irgendwann an ihren Maskenmann zu schreiben beginnt, gehören dazu. Sie klingen nicht mehr nach Nerd, sondern nach sprachlich ganz unbedarftem Teenager. Ein Bruch in der Figur, der gewollt sein mag, weil ja auch Berit Glanz mit Masken und Erwartungen jongliert. Trotzdem schwächt es den Roman, weil er plötzlich durchhängt, an Schärfe, Seltsamkeit und schillernder Künstlichkeit verliert. Eigentlich ist es schon die Geschichte von Lavinia Schulz, die eine Unwucht in den Roman bringt. Die Konzentration auf den Witz von Beta und ihrer Version der Welt hätte diese Parabel auf die Gegenwart und ihre Kunst-Diskurse konsequenter wirken lassen.

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SZ vom 31.07.2019
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