Süddeutsche Zeitung

Klassikkolumne:Mehr davon!

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Für Musiker ist Beethoven immer aktuell und herausfordernd. Aber manchmal darf es dann auch Neueres sein, von Gerald Resch oder Erkki-Sven Tüür.

Von Harald Eggebrecht

Beethoven, der Mann aus Bonn, der es in Wien zum Kompositionsgroßmeister brachte, hat keine Jubeljahre nötig, seine Musik ist immer inspirierend, irritierend, verblüffend, überraschend und, wenn gut gespielt, frisch wie am Tag der Erfindung. An seinen Stücken wollen sich Weltstars wie Newcomer immer wieder messen, reiben und bewähren.

So beschäftigen sich der auf allen Podien hoch geschätzte Pianist Emanuel Ax und der mit allen Wassern des Weltruhms gewaschene Cellist Yo-Yo Ma schon seit vierzig Jahren mit Beethovens fünf Cellosonaten und den drei Variationsstücken über Themen von Händel und Mozart. Sie haben diese Werke, die das Violoncello auf der großen Kammermusikbühne installiert haben, als junge Männer auch glanz- und kraftvoll eingespielt. Zum 250. Geburtstag wollten sie ihre Erfahrungen mit Beethoven neu dokumentieren. Beethoven ist schon bei den frühen Sonaten op. 5 mit ganz eigenem Erfindungsgeist unterwegs, um aus einem bis dahin durchaus liebenswürdigen, auch virtuosen und bei manchen Komponisten pfiffig-einfallsreichen Genre ein Originalformat zu kreieren, und das mit wilder Lust an der Emanzipation der beiden Instrumente. Ax und Ma verdeutlichen das im musikalischen Dialog leichtfüßig und gleichsam mit neu gefundener Unbefangenheit. Auch die A-Dur-Sonate op. 69 pumpen sie nicht auf, sondern entfalten ihren landschaftlichen Charakter mit Wachheit und Gelassenheit. Selbst die zwei späten Sonaten op. 102 geraten hier nicht ins Knorrige, Ax und Ma bleiben bei ihrer melodiös-lyrischen Haltung und genauen Artikulation. Und in den drei Variationszyklen entdecken sie Beethovens Spaß an neuen Wegen. (Sony)

Das vielfach preisgekrönte Aris-Quartett hat eine reizvolle Kombination gewagt: Beethovens monumentalem op. 59, 1 in F-Dur eine Weltersteinspielung des 3. Quartetts von Gerald Resch gegenüberzustellen. Die Aris-Leute sind klanglich eher auf der hellen Seite angesiedelt und neigen nicht zum Grummeln. Das tut Beethovens F-Dur-Stück gut, das manchmal allzu hitzig auf revolutionär gebürstet bis zur klanglichen Erschöpfung dargeboten wird. Hier erscheint es bei aller Rasanz als virtuoses, ja elegantes Werk, dessen Innovationsschübe vielleicht eine Spur zu selbstverständlich genommen werden. Der Österreicher Gerald Resch, Jahrgang 1975, hat sein 3. Quartett dem Prinzip des Attacca verschrieben, der sofortigen Satzfortsetzung ohne Zwischenpause. Doch gibt es zu jedem der vier Sätze eine Ritornello genannte Introduktion, der eben attacca je die verschiedenen Sätze folgen. Resch hat sich an Beethovens op. 59, 1 orientiert. Seine Musik entwickelt sich filigran, unterhaltsam, raffiniert und von der charakteristischen Helligkeit der Aris-Leute inspiriert, die das Werk souverän spielen. In manchem kann man es als einfallsreichen Kommentar zu Beethovens Stück hören. (Genuin)

Erkki-Sven Tüür gehört zu den herausragenden Komponisten der Gegenwart. Ihm geht es um Prozesse, die sich hochdramatisch auftürmen oder Pianissimo-Irritationen verfolgen können. Tüür hat einmal zum Vergleich auf das Meeresufer hingewiesen, man sehe die Formen des Sandes unter Wasser oder die Wasseroberfläche in ständiger Bewegung und von den Mustern der Sonne durchwebt. Die CD " Lost Prayers" versammelt vier unterschiedliche Kammermusiken: Das wuchtige Klaviertriostück "Fata Morgana" (Marrit Gerretz-Traksmann, Klavier, Harry Traksmann, Violine, Leho Karin, Violoncello), das fein gewirkte Violine-Violoncello-Duo "Synergie" (Florian Donderer, Tanja Tetzlaff), das dynamisch wogende klangreiche 2. Streichquartett "Lost Prayers" (Signum Quartett) und das sich emporschwingende Klaviertrio "Lichttürme" . Die Spieler verwirklichen Tüürs auch im Zarten immer lebensvolle und anspannende Musik mit Verve und Genauigkeit. (ECM)

Dass es die englische Musik im deutschsprachigen Raum noch immer nicht leicht hat trotz des sehnsüchtig ins Melodische verliebten Edward Elgar und des über alle Sparten hinweg genialen Benjamin Britten, ist leider wahr. Das Kammerensemble Metamorphosen Berlin unter Leitung und solistischer Mitwirkung des glänzenden Cellisten Wolfgang Emanuel Schmidt zeigt auf seiner CD "Very British", wie geistreich, schwelgerisch, rhythmisch witzig und klangopulent Musik von Elgar, Britten, Peter Warlock (1894 - 1930) oder Karl Jenkins, geboren 1944, wirkt. Das klingt unbedingt nach mehr! (Sony)

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