Süddeutsche Zeitung

Australien:Flüchtlinge in der Falle

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Auffanglager an fremden Küsten: Der fünfte Kontinent macht vor, wie man unerwünschte Einwanderer abschreckt.

Von Wolfgang Benz

Villawood, eine Autostunde südwestlich von Sydney, ist von Provinzialität und Gewerbefleiß geprägt, eine Siedlung, wie es unzählige gibt im Umkreis der großen Städte Australiens. In Villawood befindet sich ein Immigration Detention Centre, ein Lager, in dem Asylsuchende, Flüchtlinge aus Bürgerkriegsregionen, interniert werden.

Die australischen Gesetze schreiben diese Internierung für alle vor, die ohne gültiges Visum eingereist sind und nicht schon vor den Küsten des Landes abgewehrt wurden.

Das Lager ist ein Gefängnis mit Haft auf unbestimmte Zeit, aber ohne Urteil, und leicht erkennbar an den Sicherheitseinrichtungen. Zwei Metallzäune, dazwischen ein Verhau aus gerolltem Sägeblatt: Ein Menschenkäfig. Das freie Feld hinter dem Zaun ist der einzige Ort, an dem die Internierten Besucher empfangen können.

Der Platz ist mit Plastikstühlen möbliert, ein paar Schutzdächer gegen die Sonne, etliche Bäume. Das Gefängnis wird privat betrieben, das hat Tradition und rechnet sich besser. Nach gründlichen Sicherheitsprozeduren, Registrierung, Metalldetektor und Personenschleuse wird der Käfig aufgetan.

Mohammed Ali, der vor vier Jahren mit großen Hoffnungen in Australien ankam, erwartet uns am Zaun. Nicki, unsere Begleiterin, ist Regieassistentin. Sie hat bei einem Theaterstück über Schicksale von Internierten mitgewirkt, Mohammed Ali besucht sie seit einem halben Jahr. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Solidarität zu zeigen und fragt nicht nach der Biographie vor der Internierung.

Von Mohammed Ali weiß sie nicht viel mehr, als dass er vor acht Jahren in Moskau Ingenieurwissenschaften studiert hat und dass sein Bruder in einem syrischen Gefängnis sitzt.

Der Fall Shayan

Mohammed Ali ist eine wichtige Person im Gefängnis. Er bekommt viel Besuch von früheren Insassen, die dem Freund über die Einsamkeit hinweghelfen wollen, so wie er ihnen früher im Lager geholfen hat. Körperlich ist er gesund. Aber eine Folge des erzwungenen Nichtstuns ist die Konzentrationsschwäche, die Mohammed Ali oft befällt.

Dann haben seine Besucher das Gefühl, durch ihn hindurch zu reden. Er sagt: "Ich bin nach Australien gekommen, um Ruhe zu finden. Ich habe so große Hoffnungen in dieses Land gesetzt. Aber jetzt weiß ich nicht mehr weiter."

Mohammed Ali ist nicht der dienstälteste Gefangene. Ein Mann aus dem Sudan, Abdlmoneim Khogali, ist seit sieben Jahren interniert. 1999 sollte er deportiert werden, gefesselt und unter Drogen gesetzt wehrte er sich doch so energisch, dass der Flugkapitän den Transport verweigerte und sich beim zweiten Versuch Passagiere gegen die Wachmannschaften wandten. Wegen Aufsässigkeit wurde er mehrfach mit Gefängnis bestraft und misshandelt.

Die lange Internierung erscheint umso absurder, als schließlich mehr als 90 Prozent der "detainees" das erhoffte Schutzvisum für einen dreijährigen Aufenthalt erhalten.

Kinder gibt es auch unter den etwa 500 Gefangenen in Villawood. 90 Frauen und 30 bis 40 Kinder sind derzeit dort interniert. Die Regierung ist stolz darauf, dass Familien zusammen leben dürfen, dass es eine Vorschule und eine Elementarschule gibt. In der Regel aber sind Familienväter von ihren Familien getrennt im Camp.

Villawood bietet Fernsehen und Computerspiele, ein Fitness-Studio, Yoga und Tischtennis. Doch von Untätigkeit kann man sich nicht entspannen, und wenn man keine andere Beschäftigung hat, als auf die Wand der Unterkunft zu starren, treten oft ernste psychische Störungen ein und entladen sich manchmal in Aufruhr oder Selbstmord.

Ein Fall hat auch die Öffentlichkeit bewegt. Im März 2000 kam Mohammed Badraie mit seiner Frau und dem Fünfjährigen Sohn Shayan aus dem Iran nach Australien, um dort Asyl zu finden. Die Familie wurde in Woomera, dem inzwischen geschlossenen, berüchtigten Detention Camp in der südaustralischen Wüste, interniert.

Der Fünfjährige erlebte im März, April und Juli des Jahres 2000 Revolten, bei denen sich Häftlinge selbst anzündeten oder mit Messern verletzten. Der Aufruhr in Woomera wurde mit Tränengas, Wasserwerfern und Schlagstöcken durch Angestellte des privaten Gefängnisunternehmens Australasian Correctional Management und Polizei niedergekämpft. Shayan wurde mit seiner Familie nach Villawood verlegt.

Dort wurde Junge Zeuge der Selbstmordattacke eines Häftlings, der sich die Pulsadern aufschnitt. Shayan verfiel in Sprachlosigkeit, verweigerte jede Nahrung, litt unter Panikattacken, verlor den Kontakt zur Außenwelt, wurde als Sterbender wahrgenommen. Am 15. Mai 2001 kam er in eine Kinderklinik. Ärzte und Psychologen rieten vergeblich von jeder weiteren Internierung ab.

Sechs Tage nach der Entlassung aus der Klinik musste er wieder hospitalisiert werden, insgesamt verbrachte Shayan acht Wochen im Krankenhaus, dazwischen wurde er zurück nach Villawood gebracht. Gegen den Willen der Eltern kam er im August 2001 in eine Pflegefamilie, in der er, unterbrochen von Klinikaufenthalten, bis Januar 2002 blieb. Im August 2002 erhielt die Familie die vorläufigen Visa für drei Jahre.

Spektakulär - aber nicht ungewöhnlich

Shayans Fall ist spektakulär, aber nicht ungewöhnlich. Weil Menschenrechtsaktivisten von ihm erfuhren, eine engagierte Anwältin sich seines Falles annahm, weil die Medien sich interessierten, wurde Shayans Fall von der Human Rights and Equal Opportunity Commission untersucht, deren Bericht im Oktober 2002 schwere Vorwürfe gegen die Regierung enthielt.

Der Rechtsweg sieht die Anrufung des Obersten Gerichts als letzte Möglichkeit vor, und schließlich hat der Minister für Einwanderung nach dem Migration Act von 1958 die Möglichkeit, das Visum aus humanitären Gründen zu gewähren. Das Leid Shayans wäre mindestens zu lindern gewesen, wenn die bürokratischen Erfordernisse nicht aus Prinzip als die höherwertigen Rechtsgüter betrachtet worden wären.

So wurde die Öffentlichkeit wenigstens den gefangenen Kindern gegenüber sensibilisiert. Eine Untersuchung der Human Rights Commission prangerte die Missstände an, vor den Wahlen wurden Kinder aus den Camps entlassen, aber geändert hat sich nichts, noch immer werden Familien auseinander gerissen. Die jüngste Affäre spielt im November 2004.

Die 33-jährige Seseana Naikelekele ist seit zwei Jahren in Villawood interniert. Sie stammt von den Fidschi-Inseln, kam 1989 mit einem Touristenvisum nach Australien, heiratete dort. Seseana Naikelekele hat fünf Kinder, zwei von ihnen besitzen die australische Staatsbürgerschaft, die drei anderen können sie bekommen, wenn sie zehn Jahre alt sind. Die Mutter aber wird wohl deportiert werden. Nun muss sie sich entscheiden, welche Kinder sie mitnimmt.

Zugenähte Lippen

Derzeit existieren in Australien neben Villawood fünf weitere Haftstätten zur Internierung illegaler Ankömmlinge. Außerdem gibt es zwei Lager auf fremden Territorien, auf Manus Island in Papua-Neuguinea und auf dem Inselchen Nauru im Westpazifik, der einstigen deutschen Kolonie, dem seit 1968 drittkleinsten unabhängigen Staat der Erde.

Dorthin wurden die Bootsflüchtlinge deportiert, die der norwegische Frachter Tampa im August 2001 aus Seenot gerettet hatte. Außer den Afghanen und Irakern der Tampa, die in zwei Lagern auf der Insel untergebracht sind, brachte die Fregatte Tobruk Mitte Oktober 2001 weitere 262 Flüchtlinge, die vor der australischen Küste aufgegriffen worden waren, nach Nauru.

Die australische Regierung bezahlt mit Geld, Waren und Dienstleistungen für den Unterhalt des Lagers; der arme Kleinststaat verbessert so sein Bruttosozialprodukt erheblich. Nauru hat knapp 12.000 Einwohner, das Territorium ist 21,3 Quadratkilometer groß, durch Phosphatabbau verwüstet. Trinkwasser ist knapp.

Nauru, der Ministaat, ist leicht zu korrumpieren, wenn der übermächtige Nachbar so großzügig den elenden Dienst entlohnt, der ihm Flüchtlinge vom Hals hält.

Die australische Regierung fühlt sich für die Vorgänge im 2000 Kilometer entfernten Lager, dessen Betrieb durch ein privates Unternehmen sie bezahlt, nicht verantwortlich. Mit dem Hinweis auf die Souveränität der Insel ignoriert Canberra die Probleme der Deportierten; für Menschenrechtsorganisationen und die Medien ist der Ort nicht zugänglich.

Die Regie der Haftstätten auf Nauru und Manus Island liegt in Händen der International Organisation for Migration, die für viele Regierungen die Abwehr von Unerwünschten erledigt. Der australische Einwanderungsminister besuchte im Februar 2002 die Insel Nauru.

Die Kinder, die ihn mit Blumen begrüßen wollten, beachtete er nicht, den Erwachsenen hielt er eine kurze Rede, in der er ihnen klar machte, dass sie keine Chance hätten, sich "durch die Hintertür" in Australien einzuschleichen.

Die Pazifikinsel am Ende der Welt wäre der Prototyp einer europäischen Lösung, die auf Internierungslager fern der eigenen Küsten setzt, um Unerwünschte erst gar nicht bis zur Haustür vorzulassen. Ein rechtloser Ort, für den sich keiner verantwortlich fühlt, der auf nordafrikanischem Boden, in der libyschen Wüste etwa, Flüchtlingen und Asylsuchenden die Illusion gibt, ihre Sache würde verstanden.

Die Scheinlösung

Eine Scheinlösung, die von der lebensgefährlichen Reise auf Seelenverkäufern übers Mittelmeer nach Italien oder Spanien abhalten soll, um den Europäern die Bilder von Seenot und Untergang zu ersparen. Die Unglücklichen in den Lagern säßen in der Falle.

Das lässt sich am Geschick der auf Nauru Internierten deutlich machen. Im Dezember 2003 begann ein Hungerstreik, der sich bis Weihnachten ausbreitete. Es waren vor allem Angehörige der muslimischen Minderheit, der Hazara, die gegen die Internierung protestierten. Manche hatte sich die Lippen zugenäht, eine Form des Protestes, die bereits in Woomera und anderen Lagern praktiziert worden war.

Der Wortführer auf Nauru versuchte die Hoffnungslosigkeit der Internierten zu erklären: "Wir Hazara waren schon immer und überall Verfolgte. Ich weiß nicht, welche Verbrechen wir begangen haben. Wir flohen aus Afghanistan, um Zuflucht in Australien zu finden, aber die australische Regierung wies uns zurück und erklärte, wir hätten nicht bewiesen, dass wir Verfolgte sind.

Die afghanische Regierung sagt, dass wir keine Afghanen sind. Wenn wir nach Pakistan oder in den Iran auswandern wollen, sagen die Leute dort, ihr verfluchten dummen Afghanen! Warum seid ihr gekommen? Sie sagen, wir hätten unser Land zerstört, und jetzt wollten wir ihres zerstören. Es gibt keinen Platz auf der Erde, wo wir Obdach finden."

Die Flüchtlinge vor den Taliban werden ebenso wie die Verfolgten aus Saddam Husseins Irak mit den Regimes, denen sie entflohen, identifiziert. Sie gelten als potenzielle Terroristen. Die Herkunft ist der Grund für ihre Ablehnung.

Der Autor ist Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin.

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Quelle:
SZ vom 11.1.2004
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