Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Unschuldige Verführung

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Die Pasinger Fabrik widmet dem Film "Zur Sache Schätzchen" eine Ausstellung und zeigt Werke zeitgenössischer Künstler dazu. Ein Rundgang mit Uschi Glas, die vor fast 50 Jahren das Mädchen mit der weißen Spitzenkorsage gespielt hat

Von Evelyn Vogel

Die Korsage fehlt in der Ausstellung. Keiner weiß, wo sie abgelieben ist. Auch nicht Uschi Glas, die sie im Film "Zur Sache Schätzchen" trug. "Ich hab' leider gar nichts gesammelt", sagt sie mit ein wenig Bedauern in der Stimme, während sie inmitten der Aufbauarbeiten zur Ausstellung in der Pasinger Fabrik steht. Dass das Stück Mieder dereinst zum berühmtesten Requisit des "Kultfilms der 68er" von May Spils werden würde, wie es in der Ankündigung zur Ausstellung heißt, hätte Uschi Glas damals aber vielleicht schon ahnen können. Denn vor allem jene Szene sorgte für Aufregung, in der die junge Darstellerin aus dem niederbayerischen Landau an der Isar auf der Polizeiwache die Hüllen fallen lässt und in der weißer Spitzenkorsage dasteht: Sinnbild von Verführung und Unschuld zugleich.

Das Mieder war eine Idee von Uschi Glas selbst. Eigentlich sollte sie ja nackt sein. "Damals stand in jedem Drehbuch spätestens auf der 17. Seite: Hauptdarstellerin zieht sich aus. Da hab' ich gesagt, das mach' ich nicht und bin los und hab' mir die Korsage auf eigene Kosten anfertigen lassen." Glas schaut auf den original Steenbeck-Schneidetisch, auf dem ein Band läuft. Ein von dunklen Locken gerahmtes Herzchengesicht, große, dunkle Augen, unschuldiges Lächeln. "Das waren die Probeaufnahmen", erinnert sie sich.

Werner Enke, ihren Filmpartner, lernte sie erst kurz vor den Dreharbeiten kennen. Ihre Gegensätzlichkeit ist ihr bis heute in Erinnerung geblieben. "Werner war der Chaot, der immer kompliziert dachte und auch schon mal erst gegen Mittag am Set auftauchte", sagt Glas. Sie selbst sei "die Bürgerliche und Praktische" gewesen, für die Disziplin zum Geschäft gehörte.

Im Geschäft war Glas da schon recht gut, hatte bei der Karl-May-Verfilmung "Winnetou und das Halbblut Apanatschi" auch mit internationalen Stars zusammen gearbeitet. Praktisch war dann immerhin, dass sie einen Führerschein hatte, denn in ihrer Rolle als Barbara, einem Mädchen aus reichem Hause, musste sie mit einem dicken BMW-Cabrio durch München brausen. "Das hat den Werner schwer beeindruckt, dass ich Autofahren konnte", erinnert sie sich. Auf dem Land machte man eben mit 18 seinen Führerschein. "Mein Vater ist mit mir vorher schwarz gefahren, über die Felder. Dann noch ein paar Fahrstunden und ich hatte meinen Führerschein", sagt sie. Auch das waren die 68er.

In der Ausstellung sind allerlei Leihgaben aus dem Film-Archiv von Produzent Peter Schamoni zu sehen, darunter Schwarz-Weiß-Fotos von den Dreharbeiten und vom Set, Poster, Drehbücher und Produktionsunterlagen. Aus der Korrespondenz geht auch hervor, dass Horst Wendlandt von Uschi Glas' Vertragsfirma Rialto-Film sich im Nachhinein mit dem "Schätzchen"-Produzent Schamoni über Umsatzbeteiligungen gestritten hat. Glas erinnert sich: "Ich hab' von dem Geld - 16 000 Mark laut Unterlagen - nichts gesehen, jedenfalls nicht direkt. Ich hatte einen sogenannten Hollywood-Vertrag, bekam 2000 Mark pro Monat. Von dem, was der Film darüber hinaus einspielte, wurden die Kosten für meine Ausbildung bezahlt."

Neben dem nachgebauten Schneideraum wird auch eine original Arriflex-Kamera gezeigt. Und Hauptdarsteller Werner Enke hat im Gegensatz zu seiner Filmpartnerin etliche Requisiten aufbewahrt. Beispielsweise das Hemd, das er als Martin trug, oder die Tipp-Kick-Fußballer mit der notdürftig zusammengeflickten Uwe-Seeler-Figur oder das Daumenkino, mit dem er Barbara entzückte. "Das war ja so süß", schwärmt Glas beim Anblick der Originale in der Vitrine.

Doch die Ausstellung zeigt nicht nur historisches Material zum "Schätzchen" und den Film selbst. Kurator Stefan-Maria Mittendorf hat darüber hinaus bildende Künstler eingeladen, sich mit dem Lebensgefühl jener Zeit und mit der Ästhetik des Films auseinander zu setzen. Diese Auseinandersetzungen verleihen der Ausstellung ihre Aktualität über jenen Punkt hinaus, dass das "Schätzchen" nun bald 50 Jahre alt wird. "Angenommen ich werde 50" heißt das Triptychon des Leipziger Künstlers Frank Moll, der die 18 250 Sterne des Wandkalendariums von Martin in minimalistische und monochrome Farbtafeln überführt hat. Das Alter beschäftigt den Film-Tagträumer, dessen Zukunftsvision in dem Satz steckt: "Es wird böse enden."

Einige Künstler haben Filmstills in verschiedenen Techniken umgesetzt. Besonders die Porträts der Darsteller, die Andreas Zingerl aus Percha mit einem verwischten, entfernt an Gerhard Richter erinnernden malerischen Gestus zu fassen kriegt, findet Uschi Glas beeindruckend. Ebenso die Leuchtkasten-Arbeit des Medienkünstlers Kota Ezawa aus San Francisco, der derzeit Stipendiat in der Villa Waldberta ist. "Uschi Glas meets Ellsworth Kelly" heißt das Werk, in dem das Porträt der rauchenden Schauspielerin von der schwarzen, grauen und weißen Schablonenmalerei des Hard-Edge-Stils überlagert wird. Dies wenigstens ebenso typisch für die Sechziger wie das Motiv: "Damals haben wir doch alle geraucht. Ich auch", gesteht Glas.

Streifen als Thema tauchen in mehreren Werken der zeitgenössischen Künstler auf: Ausdruck der Ästhetik bestimmter Kunstrichtungen jener Zeit ebenso wie des Films. Sowohl Barbara als auch Martin tragen gestreifte Kleidung. Der Münchner Hannes Heinrich macht daraus kleinformatige, abstrakte Gemälde. Hank Schmitt in der Beek aus Berlin, auch ein Waldberta-Stipendiat, drückt die Filmästhetik in informeller Malerei aus. Und Victoria Wald, ebenfalls aus Berlin, entdeckt in dem Film das Thema der Muse, das sie mit Bezug auf die eigene Biografie malerisch und in Interviews umsetzt. Der Münchner DJ und Künstler Milen Till spürt mit seiner Installation "Rock'n'Roll" dem Sound und dem Tempo jener Zeit nach - indem er auf zwei Plattenspielern ein Skateboard laufen lässt. Lara Eckert aus München hat in kleinformatigen, figurativen Schwarz-Weiß-Gemälden Fotos aus Printmedien von 1968 in Malerei transformiert. Bilder, die Selbstbewusstsein und Lebensgefühl einer rebellischen Generation widerspiegeln, für die auch das "Schätzchen" stand - und für manche bis heute steht.

Zur Sache Schätzchen, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, bis 29. Januar, Di-So 16-20 Uhr, Begleitprogramm: www.pasinger-fabrik.com

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Quelle:
SZ vom 30.11.2016
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