Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Reiz der Entdeckung

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Das Franz-Marc-Museum in Kochel am See widmet sich dem Werk des Brücke-Künstlers Erich Heckel - und überrascht mit neuen Erkenntnissen

Von Sabine Reithmaier

Flirrendes Blaugrün, tanzende Lichtflecke, sich im Wasser spiegelnde Bäume, ein winziger Mensch mit Ruderstange in einem Boot - "Parksee" hat Erich Heckel (1883-1970) das Ölgemälde genannt und dazu notiert: "Der Wald ein Glasbau, auf dem kein Gesetz der Schwere lastet. Eine klingende Klarheit." Das Bild von 1914 ist ein Höhepunkt in der neuen Ausstellung des Kochler Franz-Marc-Museum, die sich dem Expressionisten widmet.

Die Schau im ersten Obergeschoss stellt, von wenigen Leihgaben abgesehen, den eigenen Bestand vor. Das Haus besitzt 80 Werke des Brücke-Künstlers, die meisten aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, aber auch Blätter aus den Kriegsjahren und danach. Seit etlichen Jahren knöpft sich Cathrin Klingsöhr-Leroy die eigene Sammlung mit wechselnden Themenschwerpunkten vor. Von den Ergebnissen der Forschungsarbeit berichten kleine, gut gestaltete Kataloghefte; Heckel ist jetzt die Nummer zehn zugeeignet. Auch dieses Mal bestätigt sich die Erfahrung der Museumschefin, dass ein intensiver Blick auf die Werke zu neuen Entdeckungen führt. So ist der Nachweis gelungen, dass ein Aquarell, bislang im Inventar der Sammlung Max Pechstein zugerechnet, ein Heckel ist. An der Zuschreibung der "Zwei liegenden Akte", 1910/11 datiert, gab es bereits länger Zweifel, denn Zeichenstil, Farbigkeit und die erotische Komponente wiesen eher auf Heckel hin. Als das Blatt nun ausgerahmt wurde, fand sich auf der Rückseite eine Bleistiftzeichnung, ebenfalls von Heckel, dazu zwei Namen. Unten rechts stand durchgestrichen "Erich Heckel", links daneben "Max Pechstein". Vermutlich hatte das Bild das Atelier längst verlassen, als die Zuordnung in einer Sütterlin verwandten Schrift festgehalten wurde. Glücklich ist Klingsöhr-Leroy auch über zwei sehr frühe Farbholzschnitte, Unikate, die Heckel mit der Hand kolorierte.

Der Maler zieht 1911 von Dresden nach Berlin. Im Januar 1912 besuchen ihn Franz und Maria Marc im Dachgeschoss des Hauses an der Mommsenstraße 60, in dem Heckel mit der Ausdruckstänzerin Sidi Riha, seiner Freundin und späteren Ehefrau wohnt. Der Maria angebotene Stuhl bricht unter deren Leibesfülle sofort zusammen, was Marc in einem Brief an Wassily Kandinsky mitteilt; er fügt aber hinzu: "... wir beide kamen uns überhaupt wir ungeschlachte Bären dort vor." Marc gefallen die Werke Heckels und der anderen Brücke-Künstler. Er würde gern einige in "Schwarz Weiß", der zweiten Münchner Ausstellung des Blauen Reiters zeigen. Kandinsky lehnt sie wegen eines Zuviels an Schamhaaren, Badenden und Zirkusszenen ab, bekrittelt die mangelnde Geistigkeit. Aber Marc setzt sich durch, daher hängen in der Galerie Goltz unter den 300 Grafiken auch Arbeiten der Brücke-Künstler.

Marcs Kontakt zu Heckel riss nicht mehr ab, davon zeugen die illustrierten Postkarten, die Heckel an ihn schrieb. Im Nachlass Marcs haben sich acht erhalten. Von den Antwortkarten Marcs sind nur vier bekannt, zwei davon wurden erst 2017 versteigert - "da konnten wir leider nicht mithalten", bedauert die Direktorin. Die Botschaften sind meist kurz, oft klingt Heckels desolate finanzielle Situation durch. "Wenn Dr. Schmidt nur einen Käufer hätte", schreibt er am 21. Januar 1913 und zeichnet sich mit Tusche selbst, wie er melancholisch blickend im Atelier sitzt, im Regal hinter ihm stehen kleine Figürchen. Aber trotzdem sagt er auf derselben Karte zu, ein Werk für die Benefizauktion zu stiften, die Marc für die ebenfalls in prekären Verhältnissen lebende Dichterin Else Lasker-Schüler organisiert.

Manchmal schmückt eine Bleistiftzeichnung die Karte, ein anderes Mal verwendet er einen Holzdruck, wobei es ihn nicht stört, wenn dieser nur teilweise auf die Postkarte passt. Jetzt merkt man es auch nur, weil direkt daneben der ganze Holzschnitt hängt.

In der letzten Karte an Marc vom 8. Juli 1914, illustriert mit einer heiligen Barbara, beglückwünscht er den Freund zu seiner Villa in Ried. "Ihre Karte mit Ihrer schönen Besitzung erreichte uns unterwegs." Heckel hält den Kontakt mit Maria auch nach dem Tod Marcs, schickt ihr nach 1919 eine Karte mit einer Sitzenden am Strand, hofft, dass sie bald zu Besuch kommt und endet mit allen guten Wünschen und Grüßen "und einem Händedruck".

Nicht nur für diese Sitzende dürfte Siddi Riha das Vorbild gewesen sein. Von 1910 an war sie Heckels wichtigstes Modell für fast alle weiblichen Figuren, auch wenn ihr Name in keinem Werktitel auftaucht. Ihren Vornamen änderte sie übrigens bei der Heirat 1915 von Sidi zu Siddi. In der Ausstellung ist sie sehr präsent. Mal lesend, mal krank im Bett liegend, mal in einer idyllische Badeszene. Spürbar wird die innige Beziehung des Paars in der "Unterhaltung" (1918), dem einzig erhaltenen Doppelporträt des Künstlers und seiner Frau.

Erich Heckel: Der poetische Expressionist , bis 19. Mai, Franz-Marc-Museum Kochel am See

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SZ vom 26.02.2019
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