Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Parallelwelt-Romantik

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Surreal, widerspenstig, gewagt: Die Jahresausstellung in der Galerie Angermeier in Winden bei Haag gibt vor allem Künstlern ein Forum, die sich nicht so einfach in den Kunstbetrieb einsortieren lassen wollen

Von Valentina Finger

Hinter den Bildern von Marcus Schäfer ein Photoshop-Genie zu vermuten, ist ein Reflex. Zu surreal wirken viele seiner Fotografien, um tatsächlich genauso aufgenommen worden zu sein. Ein collagenartig zersplittertes Gesicht, ein halb menschlich aussehendes Geschöpf, das eine Art Seepferdchen-Schweif durch das Wasser zieht, ein Porträt, umrahmt von einem Dickicht aus ineinanderfließenden Regenbogenfarben: Es ist erstaunlich, dass es für all diese Kompositionen eine Erklärung gibt, die nichts mit Computertechnik zu tun hat. 19 solcher Bilder werden in der Jahresausstellung "Philomena" in der Galerie Angermeier in Winden bei Haag in Oberbayern gezeigt, verteilt auf die vielen kleinen Räume des rund 300 Jahre alten Bauernhauses.

Marcus Schäfer hat in München eine Ausbildung zum Modejournalisten absolviert. Seit 2011 arbeitet er als freier Fotograf, schießt Mode- und Beautystrecken für größtenteils ausländische Magazine. Mit seinem Stil in Deutschland abgedruckt zu werden, sei schwer, sagt er. Dieser ist in der Tat speziell, eine Mischung aus Tim Burtons Filmen mit einem Schuss Camp und einer grotesken Hochglanzglasur, immer begleitet von einer eigentümlichen Parallelwelt-Romantik. Die Reihe "Wonderland" wird dominiert von einer Fülle an tropischem Tamtam und exotischer Afro-Eleganz. Wie skurrile Kurzfilme wirken die beiden Fotografien namens "Transient Hotel", zwei von nur vier Fotos, bei denen digital direkt in den Bildinhalt eingegriffen wurde.

Aufgenommen in einem Stundenhotel, trifft hier die Addams Family auf My Little Pony, weißes Elfenhaar wallt entgegen aller Naturgesetze der zuckergusspinken Decke entgegen, darunter ein hermaphroditisches Model, dessen Porzellanpuppenkopf im Bild gegenüber körperlos über einem gynäkologischen Stuhl thront. Solches Wechselspiel aus Fiktion und Realität ist etwas, das Schäfer in all seinen Aufnahmen auf die eine oder andere Weise bedient. Alles, was er mache, sei ein bisschen "beyond", sagt er, sein Versuch, aus der Wirklichkeit auszubrechen. Farbe spielt bei diesem Unterfangen eine große Rolle. Doch auch im Schwarz-Weiß-Kontrast funktioniert die bizarre Schönheit seiner Fotos.

Dabei wird der Blick mal auf einen überdimensionalen Reifrock gebannt, mal auf ein Gesicht, das mehr im Schatten als im Sichtbaren liegt, dann auf eine fragile Tänzerin, deren Beine im Dunklen verschwinden. Oder auf jenes Splitterporträt, das unter Einsatz eines mosaikartigen Spiegels entstanden ist, den Marcus Schäfer für seine Zwecke selbst gebaut hat. Womöglich ist es dieses Bild, das die erfinderische Raffinesse hinter Schäfers Arbeiten am besten fasst, denn wie diese entstehen, kann man meist kaum glauben. Er versuche, stets den absurdesten Weg einzuschlagen, um sicherzugehen, dass diesen vor ihm noch kein anderer beschritten hat, sagt Schäfer, als Typ selbst eine Kreuzung aus hippem Vagabund und Jack Sparrow.

Während Marcus Schäfer in seinen Fotos Kontexte überschreitet, hinterfragt die Bildhauerin Lena Zehringer tradierte Geschlechterrollen. Ihre "Hausfrauen", roh wirkende Gipsbüsten, die ebenfalls Teil der Ausstellung sind, deformieren weibliche Körper, stellen Proportionen auf den Kopf und präsentieren eine widerspenstige Form einer anti-idealisierten Ästhetik. Als dritter Künstler lässt der ehemalige Travestie-Artist Robert Kis, der heute als freier Kostümbildner für Dragqueens und Bühnenhäuser tätig ist, Gender-Grenzen verschwimmen. Am Eingang begrüßt einen Kis' "Gräfin", eine überlebensgroße Figur, die zwischen Disney-Prinzessin und Tiefseeungeheuer changiert. Inmitten der Bauernhof-Werkstatt ist das raumfüllende Gebilde zur Oper "Jetzt das Paradies" platziert, ein aus Kunststoffbällen aufgefädeltes Kleid mit einer zu beiden Seiten aufgespannten Sieben-Meter-Schleppe.

Im Dachgeschoss finden dann Robert Kis' "Big Drags" ihre Bühne, fast bis unter die Decke reichende Comic-Puppen in Kostümen, in denen ihr Schöpfer einst selbst performt hat. Ein grell pink beleuchtetes Fenster ähnelt einer Voyeur-Kabine im Pornokino, dahinter eine Stoffpuppe mit schillernden Hasenohren, inszeniert als Sexobjekt im Bauernbett. Thematisch schließt sich der Kreis auf gewisse Weise, wenn man analog zu Kis' Gender-Spielen den Entstehungskontext von Marcus Schäfers "Emerge I" betrachtet: Darin ziehen sich Farbspiele wie Sehnen über den femininen Rücken eines Models, das, physisch als Mann geboren, eigentlich eine Frau ist.

Philomena, 20. Juni bis 1. August, Fr. 15-19 Uhr, Sa. 14-19 Uhr (geschlossen: 17./18. Juli), Galerie Angermeier, Winden in Haag bei Oberbayern, Dorfstraße 14, 0179/4790636

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Quelle:
SZ vom 17.06.2015
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