Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Irritierend schön

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Unter dem Titel "Favoriten III" zeigen junge Künstler aus München ihre Arbeiten. Die Schau im Lenbachhaus ist eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Phänomenen

Von Evelyn Vogel

Selten, dass man die Verpackung vor dem Inhalt lobt, aber die dadaistische Werbekampagne für die Favoriten-Ausstellung passt: "Klllar, Experimentelll Lokalll Polllitisch Digitalll Internationalll Reflllexiv, Aktuelll" - rhythmisierte Adjektivreihen auf riesigen Plakatwänden kündigen die Schau im Kunstbau des Lenbachhauses an, wenn man von der U-Bahn hoch- oder vom Königsplatz herunterkommt. So künstlerisch muten die Tafeln an, dass man kurz überlegt, ob das nicht auch schon Konzeptkunst und damit Teil der Ausstellung sein könnte.

Die Ausstellung "Favoriten III - Neue Kunst aus München" - nach 2004 und 2008 die dritte Bestandsaufnahme dieser Art des Lenbachhauses - will kein Best-of sein. Stattdessen ist es nach den Worten der Kuratorinnen Eva Huttenlauch und Stephanie Weber ein Versuch, "ein in München fassbares künstlerisches Stimmungsbild wiederzugeben". Dieses Stimmungsbild zeigt zwölf Positionen von Künstlern, die zwischen 1970 und 1989 geboren wurden und die in den vergangenen zwei Jahren mehrfach aus der großen Kunstproduktion in München herausragten. Tatsächlich kennt man die meisten Namen, wenn man die hiesige Kunstszene kontinuierlich beobachtet. Die vorgestellten Arbeiten setzen auf verschiedene Techniken und Ausdrucksformen, von klassischer Malerei bis hin zu performativen und virtuellen Medien.

Was die Künstler bei aller Unterschiedlichkeit eint, ist der Wille, die Welt in verschiedenen Facetten zu fassen zu kriegen. Die Ausstellung ist eine nachdenklich stimmende künstlerische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Phänomenen sowie historischen und aktuellen politischen Situationen. Und sie ist - das zeigten viele Gespräche schon bei der Vernissage - erklärungsbedürftig. Die meisten Arbeiten sind konzeptuell, man findet nicht immer sofort einen Zugang und braucht Zeit, um sie sich zu erschließen. Auch das sicher ein Zeichen unserer Zeit. Denn auch diese ist ja nun äußerst disparat und alles andere als schnell erklärbar.

Eine der aktuellsten Arbeiten ist die von Anna McCarthy. Bis am Tag vor der Eröffnung hat sie an dem Video zu ihrer Installation gearbeitet, die ihre auf den ersten Blick abstrus wirkende leuchtend blaue Bühneninszenierung Marke "Rivera Park" inhaltlich einordnet. Hier wird die Freiheit der Gesellschaft zu Grabe getragen. Die Freiheit der türkischen Gesellschaft, um genau zu sein. Denn es geht um den Putsch in der Türkei und seine Folgen - nicht auszuschließen, dass McCarthy auf die aktuellen Vorgänge weiter reagiert und die Arbeit im Laufe der Ausstellung noch einmal verändert. Anna McCarthy wurde übrigens gerade im Rahmen der diesjährigen bayerischen Kunstförderpreise ein Spezialpreis zuerkannt.

Auch Andreas Chwatal bezieht sich explizit auf gesellschaftspolitische Ereignisse. Seine Bilder entstanden unter dem Eindruck der Anschläge in Frankreich im vergangenen Jahr auf die Zeitschrift Charlie Hebdo und im Bataclan. Diese wurden zum Ausgangspunkt einer ganzen Reihe von Grisaillemalerei, in der sich das Schöne und das Hässliche überlagern und in der Chwatal eine altmeisterlich anmutende Geste mit modernen Sujets verbindet. Auch Flucht und Vertreibung spielen eine Rolle, beispielsweise in der Arbeit "Zeltlager". Was aus der Ferne wie eine historisierende Darstellung eines Menschenauflaufs auf freiem Feld oder eines ziemlich durcheinander geratenen Heerlagers anmutet, entpuppt sich als das Chaos im griechischen Flüchtlingslager Idomeni. Die einzelnen Bilder sind zu einem flächigen Tableau arrangiert und durch Wandtexte unterbrochen. Die Linearität einer Bildreihe wäre den Ereignissen vermutlich nicht gerecht geworden.

Die Videoarbeit "Void (Woodlands)" von Florian Huth wirkt zunächst einfach nur schön und etwas rätselhaft. Von innen gegen das Fenster über den Rolltreppen projiziert, so dass sie von außen gut sichtbar ist, verbindet sie realen, musealen und virtuellen Raum. Denn die hyperrealistische Landschaft in dem Film ist computergeneriert. Ihre extreme Idealisierung lässt die Romantik anklingen, was aber in krassem Gegensatz steht zu dem, wofür sie programmiert wurde und wo sie zum Einsatz kommt: Die idealisierten Naturszenerien von Woodlands mit ihren Seen- und Flusslandschaften und ihren üppig grünen Wäldern werden von Spieleentwicklern als Hintergrundbilder für Ego-Shooter-Spiele benutzt. Vor dem Hintergrund der furchtbaren Ereignisse der vergangenen Woche und den Erkenntnissen über den Hang zumindest des Täters von München zu solchen Spielen, gewinnt die Arbeit von Florian Huth, die in Zusammenarbeit mit Barbara Herold entstanden ist, dann eine andere Dimension.

"How to start a Revolution TV" heißt die Installation von Anna McCarthy, die damit die Ereignisse während des gescheiterten Putsches in der Türkei verarbeitet.

Andreas Chwatals Bilder entstanden unter dem Eindruck der Anschläge in Frankreich im vergangenen Jahr. Im Bild: ein stilisiertes Banlieue.

Hedwig Eberle repräsentiert in der Ausstellung ganz klassische Malerei, mit puren Farben und großen Gesten.

Die meisten Arbeiten sind konzeptuell, man findet nicht immer sofort einen Zugang und braucht Zeit, sie sich zu erschließen.

Von innen gegen die Fenster über den Rolltreppen projiziert, verbindet Florian Huths Videoarbeit "Void (Woodlands)" realen, musealen und virtuellen Raum.

Beate Engl bezieht sich mit ihrer interaktiven Apparatur auf politische Inhalte, künstlerisch-formal verweist sie auf die russischen Konstruktivisten.

Carsten Nolte kritisiert Werbung und Konsum mit vergilbten Plastikabdeckungen von Werbetafeln, die als nutzlos gewordene Gebrauchsgegenstände ästhetisiert werden.

Franz Wanner geht es mit seiner Installation "Dual Use" um das schizophrene Beschönigen von Produkten, die zivil und militärisch zum Einsatz kommen.

"Favoriten III. Neue Kunst aus München" ist noch bis 30. Oktober im Kunstbau des Lenbachhauses (hier in einer Installationsansicht von Florian Huth) zu sehen.

Gesellschaftliche Tiefenbohrungen nimmt wie immer Franz Wanner mit seiner Fünf-Kanal-Installation "Dual Use" vor. So werden Produkte bezeichnet, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden können. Die Schizophrenie dieser Beschönigungstaktik inszeniert Wanner in mehreren Video-Beispielen. Bei Flaka Haliti, die noch nicht lange in München lebt und die aus dem Kosovo stammt - bei der Biennale in Venedig vergangenes Jahr bespielte sie den kosovarischen Pavillon - geht es vor allem um Migration und das illusorische Ziel unendlicher Freiheit. Philipp Gufler - der jüngste Künstler in der Ausstellung - arbeitet seit Jahren intensiv zum Thema Aids, auf das sich eine Arbeit bezieht, während er in der anderen Arbeit Männlichkeit und Geschlechterrollen thematisiert. Um die Aneignung eines Teils deutscher Kulturgeschichte mit Hilfe alter Ausgaben des Magazins Der Spiegel sowie um Überwachung und Voyeurismus geht es in den Arbeiten des in Polen geborenen Robert Crotla. Babylonia Constantinides - auch sie eine der jüngsten der Favoriten - thematisiert in ihrer formal spannenden Drei-Kanal-Projektion aus Found Footage, Sound und Monologen den Umgang mit Nukleartechnik.

Beate Engl bezieht sich mit ihrer interaktiven Apparatur "Agitator 2.0", bestehend aus einem Tageslichtprojektor und einer integrierten Spieluhr, auf politisch-historische Inhalte, künstlerisch-formal verweist sie auf die russischen Konstruktivisten. "Fremdheit als Programm", so kann man die rätselhafte multimediale Installation von Stephan Janitzky überschreiben. In der Arbeit schwingt aber auch ein gewisser Wohlfühlfaktor mit, der sich allerdings nur dann erschließt, wenn man mit viel Muße Platz nimmt, hört und liest. Als Kritik an Werbung und Konsum lassen sich die Readymades von Carsten Nolte interpretieren. Die vom Tageslicht verschieden dunkel verbrannten Plastikabdeckungen von Werbetafeln inszeniert er in Reihen wie Farbfeldmalerei und ästhetisiert so einen nutzlos gewordenen Gebrauchsgegenstand. Er bespielt übrigens auch die Kunstinsel am Lenbachplatz.

Nun könnte man sich fragen, ob die zeitgenössische Kunst in München denn nur "polllitisch" und "reflllexiv" ist. Ist sie nicht. Aber sie will gesellschaftlich "relllevant" sein und sieht sich von der Komplexität der Welt vor eine Herausforderung gestellt, der sie nur mit einer komplexen Sprache zu begegnen vermag. Dennoch gibt es eine Favoritin, die ganz klassische Malerei in der Ausstellung repräsentiert: Hedwig Eberle. Pure Farbe und große Gesten beherrschen die großen Papierarbeiten. Zu trauen scheint sie sich und dem Format noch nicht so ganz. Sie strukturiert und rastert den Untergrund, klebt kleine Blätter zu großen Feldern zusammen und tastet sich so heran. Das macht sie jedoch mit großer Virtuosität. Keine Konzeptkunst, keine Botschaft, nur Energie in Farbe übersetzt: "Klllar". Auch das gibt es bei der neuen Kunst aus München.

Favoriten III. Neue Kunst aus München, Kunstbau des Lenbachhauses am Königsplatz, bis 30. Oktober, Di 10-20 Uhr, Mi-So 10-18 Uhr

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Quelle:
SZ vom 30.07.2016
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