Süddeutsche Zeitung

ARD-Musikwettbewerb:Starker Carter

Lesezeit: 1 min

Joë Christophe gewinnt das Klarinettenfinale

Von Klaus Kalchschmid, München

Eine Jury beim ARD-Musikwettbewerb muss ihre Entscheidungen nach dem Finale nicht öffentlich begründen, aber nur sie hat die drei vorausgehenden Durchgänge mit allen Teilnehmern, die Wahlpflichtstücke aus verschiedensten Epochen spielen mussten, verfolgt und lässt alle Erkenntnisse daraus in die Bewertung der Finalisten einfließen.

So wirkte es für manchen Zuhörer, der nur das Finale oder allenfalls das Semifinale gehört hatte, etwas befremdlich, dass nach einem eher uninspirierten Spiel im Semifinale und dem verrückt-wilden, aber doch nicht übermäßig schwierigen Konzert für Klarinette und Orchester von Sándor Veress aus dem Jahr 1982 im Finale der Portugiese Carlos Alexandre Brito Ferreira mit Han Kim den zweiten Preis errang. Dabei hatte dieser das großartige und anspruchsvolle Klarinettenkonzert von Elliott Carter aus dem Jahr 1997 noch besser gespielt als der Franzose Joë Christophe. Der mochte freilich für viele schon als der heimliche Sieger des Semifinales gelten, bei dem sechsmal das Klarinettenkonzert von Mozart zu hören war, weshalb er den ersten Preis absolut verdient hat.

Aber der Reihe nach: Das Konzert von Elliott Carter ist ein ebenso konzentriertes wie vielschichtiges Meisterwerk, das kaum 20 Minuten dauert und ein exquisit, bis auf die Streicher solistisch besetztes Kammerorchester von 27 Musikern (darunter drei Schlagzeuger) mit einer Solo-Klarinette entweder konfrontiert, raffiniert verschmilzt oder sich ihr unterordnet. Der musikalischen Funktion entsprechend steht der Klarinettist bei den kontrastierenden und ineinander übergehenden Sätzen an verschiedenen Positionen: Zu Beginn beim "Scherzando" links hinten bei Harfe und Marimbaphon, dann hinter den Holzbläsern für "Deciso", bei "Tranquillo" rechts vor dem gedämpften Blech, im "Presto" in der Mitte des Orchesters oder zum "Largo" hinter den Streichern, für "Giocoso" mit dem Blech zusammen und zum abschließenden "Agitato" vorne in der Mitte endlich dominierend. Carter komponierte 1996 also kein Virtuosen-Konzert, sondern verwendete die Klarinette oft obligat, gestand ihr aber doch immer wieder Führungsqualitäten zu.

Joë Christophe, der Erstplatzierte, machte seine Sache hervorragend, erlaubte sich auch fahlere oder grellere Töne, während Han Kim, der zusätzlich zum zweiten Preis den Publikumspreis errang, noch in den exponiertesten Lagen traumhaft weich und sonor spielte, vielleicht auch eine Spur flexibler und konziser als Joë Christophe.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4598186
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.09.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.