Süddeutsche Zeitung

Architektur:Sauber, klar und wahr

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Vom "Smog in Frankfurt" sang Michael Holm 1971. Aber die Stadt am Main war in den Siebzigern besser als ihr Ruf. Hier sind die Beweise.

Von Laura Weissmüller

Smog in Frankfurt in den Straßen, Smog in Frankfurt und der kalte Rauch färbt die Luft so grau. Smog in Frankfurt und ich wart' schon Stunden hier, doch kein Taxi hält bei mir und bringt mich zu dir." Michael Holms "Smog in Frankfurt" aus dem Jahr 1971 ist so etwas wie der Song zu dem Bild, das viele Menschen von Frankfurt in den Siebzigerjahren hatten. Die Stadt galt als grau und kalt, als Ort, den man möglichst schnell wieder verlässt. Bankfurt, Zankfurt, Krankfurt waren Namen, die Frankfurt damals trug. "Kann man sich hier überhaupt wohlfühlen?", fragte denn auch der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki im Jahr 1975.

Man konnte und wie, das zeigt der großartige Band "Frankfurt 1970-1979", herausgegeben von Wilhelm E. Opatz. Architekturführer prangt auf dem orangefarbenen Cover. Der Titel scheint kaum der Fülle der Aspekte gerecht zu werden, die der studierte Innenarchitekt, dann Werber und nun Leiter eines eigenen Grafikdesign- und Textbüros Opatz zusammengetragen hat. So wie das Lied von Holm auftaucht - die Musik stammte von Giorgio Moroder, der den Song auch produziert hat - geht es hier um die Kunst, die damals in der Stadt entstand, die Kulturpolitik, plakativ propagiert mit Hilmar Hoffmanns Slogan "Kultur für alle". Es geht um Werbeplakate mit Oben-ohne-Schönheiten, die an den Straßen prangten, um Logos, die damals entwickelt wurden wie das der Deutschen Bank - "Schrägstrich im Quadrat" -, und auch um Alexander Kluges Film "In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod". Der Filmemacher, Fernsehproduzent und Schriftsteller Kluge hatte 1974 zusammen mit Edgar Reitz die Geschichte einer Beischlafdiebin und einer Ost-Agentin vor dem Hintergrund der Straßenschlachten zwischen Polizei und Hausbesetzern im Westend gefilmt. Die Story war fiktiv, die Wurfgeschosse und Steine der Besetzer sowie die Helme und Schilder der Polizei waren es nicht. Das alles gehört zu Opatz' Architekturführer und macht genau damit die Vielschichtigkeit von Architektur deutlich. Denn es hat einen Grund, warum die Architektur als die öffentlichste aller Künste gilt. Sie ist oft Bühne, Hintergrund und nicht selten auch Anstifter für politische oder gesellschaftliche Entwicklungen.

Der Ministerpräsident musste gehen, aber das schwungvolle Terrassenhaus Sonnenring blieb

Gerade in den Siebzigern und gerade in Frankfurt. Denn der Ausverkauf der Stadt an private Immobilieninvestoren, die Hochhäuser in den Himmel wachsen ließen und dafür Häuser vor allem im Westend abrissen, stieß damals auf immer mehr Widerstand und zwar in der gesamten Bevölkerung. Dazu passte, dass der Club of Rome "die Grenzen des Wachstums" verkündete, die Grünen gegründet wurden und das erste Europäische Denkmalschutzjahr 1975 das Bewusstsein der Gesellschaft für den Wert von älteren Gebäuden schärfte.

Was wiederum dazu führte, dass kollektiv einem ganzen Jahrzehnt die Fähigkeit abgesprochen wurde, gute Häuser zu bauen. Auch wenn der Begriff "Brutalismus" nichts mit brutal zu tun hat, sondern auf den Einsatz von Sichtbeton, Béton brut, zurückgeht, hatte eine Epoche ihren Ruf weg. Zu unrecht wie "Frankfurt 1970-1979" zeigt. Das Buch stellt Architekturbeispiele am Main vor, die es wert sind gefeiert zu werden, der Lufthansa-Hangar V zum Beispiel, diese "abstrakte Kathedrale der Technik" mit seinem bis heute am weitesten gespannten Betonhängedach der Welt. Oder die Olivetti-Türme von Egon Eiermann, die in ihrer "schnörkellosen Funktionalität die feste Überzeugung Eiermanns vom Wert der Sauberkeit, Klarheit und Wahrheit" spiegelten. Oder aber auch die Wohnanlage Sonnenring, die zwar durch ihre fragwürdige Finanzierung einen Ministerpräsidenten das Amt kostete, aber bis heute als schwungvolles Terrassenhaus erstaunlich Wohnqualitäten bietet.

Das Plädoyer für diese Gebäude überzeugt. Gerade auch weil die Fotografien von Georg Dörr niemals platt propagieren, sondern sich tastend ihrer Wertschätzung nähern. Detail für Detail wird damit in diesem Buch eine Jahrzehnt erfahrbar, das so viele Parallelen zu heute besitzt.

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Quelle:
SZ vom 09.10.2018
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