Süddeutsche Zeitung

Architektur:Mäusebunker

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Tierversuchslabore und Hygieneinstitute sind zu mythischen Orten der Gegenwart geworden. In Berlin sollen zwei davon abgerissen werden. Der Protest dagegen wächst.

Von Peter Richter

In Berlin wächst der Widerstand gegen den drohenden Abriss eines Tierversuchslabors und eines Hygieneinstituts. Und es ist vielleicht mehr als nur ein bizarrer Zufall, dass ausgerechnet Tierversuchslabore und Hygieneinstitute gerade zu den mythischen Orten der unmittelbaren Gegenwart geworden sind. An den raunenden Spekulationen, wonach das Coronavirus womöglich an chinesischen Laborfledermäusen gezüchtet worden sein könnte, beteiligt sich immerhin sogar die Staatsführung der USA. Die Berliner Abrisspläne und der Protest dagegen sind älter als diese Aktualitäten, bekommen dadurch aber noch einen neuen Resonanzraum.

Die Zentralen Tierversuchslaboratorien der Freien Universität Berlin waren in den Siebzigerjahren nach Plänen von Gerd und Magdalena Hänska entstanden und von Beginn an umstritten: Den einen galt der Bau als herausragendes Beispiel brutalistischer Architektur, andere erkannten darin eine sinistre Festung aus Beton, deren Äußeres oft genug populäre moralische Urteile über das Geschehen im Inneren zu bestätigen schien. Gerade das rechnen nun die Autoren eines offenen Protestbriefs dem Bau wiederum an. Der im Volksmund sogenannte Mäusebunker heißt es da, "wagte es mutig, durch seine das Innere hermetisch abschirmende, wehrhafte Anmutung die höchst unpopuläre Sphäre der Tierlaboratorien als Basis medizinischen Fortschritts dem Publikum offen darzustellen." Verfasst wurde er von der Architektin Kristin Feireiss und dem Kunsthistoriker Adrian von Buttlar, zwei schwergewichtigen Stimmen in der Architekturhistoriografie und Denkmalpflege der Stadt. Das nach ihrem Urteil künstlerisch herausragende, dem Mäusebunker gegenüberliegende Hygiene-Institut, das nach den Plänen des Architekturbüros Fehling und Gogel von 1966 bis 1974 entstanden war, stelle "mit seinen hellen, sphärisch schwingenden Räumen im Inneren und seinen organisch geschichteten Stockwerksterrassen einen Höhepunkt der Betonbaukunst und ein ästhetisch überaus einprägsames Monument dar, das bis heute eine optimistische Vision der positiven Rolle von Wissenschaft ausstrahlt".

Die Abrissgegner hoffen, genügend Stimmen für ihr Vorhaben zu mobilisieren

Adressiert ist der Brief an den Regierenden Bürgermeister, seinen Kultursenator, den obersten Denkmalschützer sowie an den Vorstandsvorsitzenden des Universitätsklinikums Charité, der beide Bauten als Betreiber nun abzureißen und durch Neubauten zu ersetzen plant. Denn für die ursprünglichen Nutzungen werden sie nach Umstrukturierungen der verschiedenen Forschungsgelände der Charité nicht mehr gebraucht, und Denkmalschutz bestand für beide Bauten bisher nicht. Die Abrissgegner hoffen nun, unter der Website mäusebunker.de rechtzeitig genügend Stimmen zu mobilisieren, um das in beiden Fällen noch ändern zu können.

Die in sich beinahe schon wieder laborhafte Frage ist jetzt faktisch die, ob dies tatsächlich Zeiten sind, in denen sich bedeutende Beispiele einer skulptural expressiven Architekturepoche mit Verweisen auf das positive Wissenschaftsbild retten lassen, das sie vermittelt haben - oder ob unter diesem neuen Primat der Wissenschaftler der unsentimentale Ersatz durch neue Forschungsinstitute erst recht den Vorrang bekommt.

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Quelle:
SZ vom 23.04.2020
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