Süddeutsche Zeitung

Andy Warhol im Kino: "Factory Girl":In den Fängen des Vampirs

Lesezeit: 3 min

Sie muss sterben, damit der Künstler leben kann: Der Film "Factory Girl" trauert um Andy Warhols Muse Edie Sedgwick, gespielt von Sienna Miller.

Rainer Gansera

In seiner legendären, mit reichlich Stanniolpapier tapezierten "Silver Factory" nannte man ihn "Drella"- schon sprachlich ein Mischwesen, halb Dracula, halb Cinderella.

Genauso zeichnet ihn George Hickenlooper in "Factory Girl": Andy Warhol, der schüchterne Naive, der sich als Blutsauger entpuppt. Guy Pearce spielt ihn flüsternd, schwul-verklemmt, bis an die Grenzen des Autistischen selbstbezogen - ein Junge, der noch bei der Mama wohnt, der Süßigkeiten liebt und selbst als guter Katholik im Beichtstuhl vor dem Sündenbekenntnis eine Praline in den Mund schiebt.

Richtige Sünden hat er nicht zu beichten, er erzählt dem Priester von Promi-Party-Erlebnissen und von der einzigen Frage, die ihn quält: ob er die passende, coole Krawatte angelegt hatte.

In der Factory dagegen zeigt er sich als autokratischer Pop-Art-Zeremonienmeister, der davon träumt, der "reichste Mann der Welt" zu werden und Mitarbeiter wie Musen bedenkenlos ausbeutet.

"Factory Girl" erzählt von der Frau, die auf dem Altar von Warhols Kunst und Lifestyle geopfert wird. Sie muss sterben, damit Kunst und Künstler erstrahlen.

Welches Selbst?

Die archetypische Eurydike-Story im Gewand einer Soap-Tragödie, aus jener Zeit Mitte der sechziger Jahre, als Warhol sich aufs Filmemachen verlegte und seine Darsteller zu "Underground-Superstars" formte.

Damals geschah im exklusiven Pop-Art-Tempel das, was sich heute massenkompatibel-vulgär in den TV-Castings abspielt. Mittendrin die bildschöne, fragile Edith "Edie" Sedgwick (Sienna Miller): Sie ist 21 Jahre alt, entstammt eine altehrwürdigen, steinreichen Familie, studiert in der idyllischen Campus-Atmosphäre von Cambridge Kunst und erklärt einem Freund das Genie Andy Warhols: "Er macht aus alltäglichen Dingen Ikonen. Er verändert unsere Art, die Welt zu betrachten."

Später wird in traumatischen Erinnerungsfragmenten nacherzählt, dass Edies Familie die Hölle war. Die Achtjährige wurde vom Vater sexuell missbraucht, in psychiatrische Behandlung geschickt, mit Elektroschocks gequält.

Sie flieht nach New York, und schon die erste Begegnung mit Warhol erscheint wie eine glorreiche Errettung. "Ich hätte gern, dass du in einem meiner Filme mitspielst!" sagt er. "Was hätte ich denn in einem deiner Filme zu tun?" fragt sie.

"Oh - sei einfach du selbst!"

"Oh - welches Selbst?"

Für den Künstler wird die neue Lieblingsmuse das "Wunsch-Alter-Ego" (Truman Capote), und Edie kann sich als "Königin des Undergroundfilms" in eine Folge grandioser Selbstkonstruktionen projizieren.

Sie schminkt sich dunkle Augenschatten wie die Stummfilmstars, zeigt sich kurzhaarig-burschikos wie Jean Seberg in Godards "Außer Atem", oder stilisiert sich à la Audrey Hepburn in "Frühstück bei Tiffanys".

Dracula

Sie klinkt sich gelehrig in den Factory-Lebensstil ein: Narkotika und Narzissmus, Glamour und Dekadenz. Wenn Hickenlooper Dreharbeiten in der Factory rekonstruiert - zu Warhol-Filmen wie "Poor Little Rich Girl" oder "Beauty Nr. 2" - kann er freilich die Faszination und Radikalität dieser Arbeiten nicht einmal andeutungsweise spürbar machen.

Warhols filmischer Minimalismus, sein Wunsch so neutral wie eine Kamera zu sein, seine Insistenz, das Empire State Building sieben Stunden lang in einer Einstellung zu filmen oder ein Paar beinahe ebenso ausgiebig beim Liebesspiel, also all das, was das ästhetische Konzept des Filmemachers Warhol zum außerordentlichen Ereignis werden ließ, wird in "Factory Girl" allein auf den Ausbeuter-Aspekt reduziert. Warhol-Dracula saugt seine Darsteller aus, entwendet ihnen ihre Geschichten und zahlt ihnen nicht einmal Honorar dafür.

So steuert der Film auf sein Kernstück zu: das Warhol-Dylan-Duell. Edie verliebt sich in einen Folksänger, der zwar nicht Bob Dylan heißt (Dylans Anwälte haben das gerichtlich untersagen lassen), aber seine Persona überdeutlich evoziert.

Es ist bekannt, dass Edie Sedgwick Dylan zu Songs wie "Just Like A Woman" und "Like A Rolling Stone" inspirierte, aber das Liebespaar, das sie in "Factory Girl" abgeben, waren sie nicht.

Hickenlooper erfindet die Lovestory, um einen exemplarischen Gegensatz zu schildern: hier der authentische, wahre, seelenvolle Folksänger - dort der geldgierige, kalte, egozentrische Popartist.

Engagierte, "menschliche", wirklichkeitsbezogene populäre Kunst - gegen mechanische Reproduktion von Bildern und Zeichen, die selbstreferentiell in sich kreisen. Der Sänger ist ein Engel, der Factory-Regent ein verhängnisvoller Dämon, der auch sofort, von Eifersucht getrieben, seinen Superstar fallen und im Drogensumpf verkommen lässt.

Cinderella

Es ist immer problematisch, einen bekannten Künstler zur Kinofigur zu machen. Bei seinem Dylan-Portrait "I'm Not There" entging Todd Haynes dem Dilemma dadurch, dass er Dylan von sieben Darstellern verkörpern ließ.

Hickenlooper bleibt beim konventionellen Versuch einer im äußerlichen Sinne "ähnlichen" Zeichnung, was seiner Warhol-Figur zuerst einen parodistischen Anstrich gibt: bleicher Teint, Silberhaar-Perücke, Sonnenbrille, unexpressive Flüsterstimme.

Dennoch wird Warhol, sehr im Widerspruch Hickenloopers moralischer Botschaft, zur spannendsten Figur des Films. Guy Pearce schenkt ihm ein subtil vibrierendes Innenleben. Er zeigt eine Figur, deren Selbststilisierungen vor allem Schüchternheits-Deformationen aus Kindertagen spiegeln.

Von den sechs Warhol-Darstellern, die es bislang auf der Leinwand zu besichtigen gab, überzeugten vor allem David Bowie, der in Julian Schnabels "Basquiat" (1986) mit britischer Dandy-Arroganz agierte, und Jared Harris, der in "I Shot Andy Warhol" (Mary Harron, 1996) eine Art Marionettenfigur gab. Guy Pearce bringt den doppelgesichtigen Dracula-Cinderella-Warhol zur Evidenz.

Factory Girl, USA 2006 - Regie: George Hickenlooper. Buch: Captain Mauzner. Kamera: Michael Grady. Mit Sienna Miller, Guy Pearce, Hayden Christensen, Jimmy Fallon, Jack Huston, Armin Amiri. Kinostar, 90 Minuten.

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SZ vom 06.08.2008/pak
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