Süddeutsche Zeitung

Alice Schwarzer:Allein unter Frauen

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Klebt sie an der Macht? Die rätselhafte Selbstdemontage der Feministin und Emma-Gründerin Alice Schwarzer.

Cathrin Kahlweit

Die meisten Überschriften, die Artikel der vergangenen Jahre über sie zieren, sind nicht sonderlich nett. "Jaja, sie hat ihre Verdienste - aber welche?" ( Berliner Zeitung), oder "Verona the brain - Feldbusch trifft Schwarzer" ( Tagesspiegel), "Es kann nur eine geben" ( Frankfurter Rundschau). Und eine der neueren, aus der taz: "Fidel Castra der Frauenbewegung". Hübsch. Übrigens stammen alle Titel von Autorinnen.

Wenn es um Alice Schwarzer geht, die Emma-Chefin, die Berufs-Feministin, dann werden heitere Frauen bitter, kluge Frauen polemisch. Sie wird bewundert oder gehasst - von Geschlechtsgenossinnen fast noch mehr als von Männern, weil sich jede die Frage stellen muss: Wenn die Schwarzer recht hat mit der fortdauernden Unterdrückung der Frau im modernen Patriarchat, muss ich dann aufhören zu kooperieren und beginnen, gegen die Verhältnisse zu kämpfen? Und wenn sie nicht recht hat, warum bin ich nicht da, wo ich sein will, sein sollte - zum Beispiel in der Chefetage?

Mitleid

Derzeit redet wieder alle Welt über sie - mehr noch als 2001, als sie sich bei Kerner mit Verona Feldbusch traf und die beiden sich einen erbarmungswürdigen Showkampf lieferten, in dem auch auf miese Effekte (Feldbusch: laszives Ausziehen des Jackets, Schwarzer: gespieltes Mitleid) nicht verzichtet wurde. Neuerdings aber schwingt so etwas wie Mitleid für die Bewohnerin des Kölner Frauenturms in all den Beleidigungen mit, die auf sie herniederprasseln. Denn die "grand old Schachtel" des Feminismus, um ein Bonmot des Spiegel-Autors Reinhard Mohr abzuwandeln, ist dabei, sich selbst zu demontieren.

Schwarzer hat in den vergangenen Jahren viele rätselhafte Dinge getan, die ihr Image als Überzeugungstäterin beschädigten: Sie hat ungeachtet der von ihr selbst betriebenen Anti-Porno-Kampagne für die Bild-Zeitung mitsamt deren Nacktfotos geworben, sich in Talkshows und Gameshows auf Sendern getummelt, die nachts auch gern Pornografisches zeigen, Massentierhaltung mit den Gräueln des Holocaust verglichen. Aber weil Deutschland wenige starke, kluge Frauen hat, die sich trotz regelmäßiger Schlangenbisse der Öffentlichkeit nicht den Schneid abkaufen lassen, hat sie den Bambi bekommen, ist sie Ritterin der französischen Ehrenlegion geworden, und vom Medium-Magazin zum - Achtung - Journalisten des Jahres gekürt worden.

Ratlosigkeit

Die Chefin des Medium-Magazin, Annette Milz, hat zwar beobachtet, bei vielen Schwarzer-Fans sei "die Stimmung schon gekippt, als sie 2007 für die Bild-Zeitung Werbung machte". Aber nun, da Alice Schwarzer im sechsundsechzigsten Lebensjahr steht, macht sich allerorten eine gewisse Ratlosigkeit breit. Was um Gottes willen macht die da, fragen sich derzeit auch Sympathisanten.

Im Mai bekam Schwarzer den Ludwig-Börne-Preis und löste in der Paulskirche einiges Kopfschütteln aus, als sie, aus historischem Unrecht eine Art Biologismus ableitend, das Schicksal von Frauen und Juden verglich: "Es gibt sie tatsächlich, die ,jüdischen' und die ,weiblichen' Qualitäten. Wer über Generationen gezwungen wird, sich auf Geldgeschäfte zu beschränken, wird irgendwann besser rechnen können. Und wer verpflichtet wird auf Mütterlichkeit und Liebe, wird irgendwann besser mitfühlen können."

Ethisch höchst strittig ist auch ein langer Aufsatz über Birma von der Weltreisenden Schwarzer. Die FAZ, die - selbst nicht als Dorado für ehrgeizige Frauen bekannt - auch Schwarzers jüngstes Buch mit dem vollmundigen Titel Die Antwort vorabgedruckt hatte, räumte ihr dafür am 31. Mai eine Seite ein. Darin beschreibt Schwarzer die Menschenrechtssituation in Birma in etwa so, wie ein Werbetexter in einem Tourismusmagazin das Leben in Kirgistan schildern würde.

Die Wellen schlagen hoch, sowohl unter Menschenrechtlern als auch bei Journalisten-Kollegen, die das Land kennen und sich reihenweise distanzieren. Schwarzer wiederum - offiziell (und damit auch für die SZ) - nicht zu erreichen, lässt auf ihrer Webseite entspannt wissen: "Bisher hat in Sachen Burma in Deutschland offensichtlich eine Einheitsmeinung gegolten. Doch viele der Reaktionen zeigen mir: Ich stehe keineswegs allein mit meiner differenzierten Sicht der Verhältnisse." Ob wohl Aung San Suu Kyi, die seit Jahren vom birmanischen Regime eingesperrte Oppositionspolitikerin, den Text auch differenziert fände?

Nun ist auch noch eine öffentliche Debatte über Schwarzers persönlichen Umgang mit Angestellten und ihre Qualitäten als Chefin hinzugekommen. Emma-Chefredakteurin Lisa Ortgies, frisch angeheuert für das in die Jahre gekommene Blatt und zur "Entlastung" seiner Verlegerin, hat Ende Mai aufgegeben - und Alice (die Damen duzen sich) tritt mitsamt ihrer Rumpf-Redaktion, die im Wesentlichen aus ihr, einer Sekretärin und einer Redakteurin besteht, höchst unschön nach.

Echte Frauenthemen

Gemäß dem Bild-Motto "Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie ausspricht" lässt Emma wissen, dass Ortgies, langjährige Moderatorin von Frau TV im WDR, für die "umfassende Verantwortung" einer Chefredakteurin nicht geeignet" gewesen sei. Dieser Demütigung einer "toughen Kollegin" (Schwarzer) folgt am nächsten Tag eine Chronologie der Fehltritte von Ortgies samt einer Einlassung auf der Webseite, in der "die Emmas" bekennen, sie hätten "mit Alice gesprochen und ihr gesagt: ,Das geht mit Lisa so nicht weiter'." Als redete ein Oberlehrer über ein faules Schulkind.

Ortgies hat in ihrem Vertrag eine Klausel, die ihr erschwert, sich zu wehren und wiederum Details aus dem Redaktionsalltag eines Blattes zu erzählen, dessen Arbeitsklima wahrlich kein leichtes ist, wenn allen Flüchtlingen zu glauben ist, die dort und schnell wieder weg waren. Aus dem Emma-Umfeld ist jedenfalls zu hören, die neue Chefin habe versucht, "die Mitte ins Blatt zu bringen", also Frauen mittleren Alters und aus der Mittelschicht mit jenen Alltags-Diskrimierungs-Themen, die in der Emma (verkaufte Auflage 45.000) traditionell zu kurz kommen: Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Teilzeitarbeit, Scheidungs- und Unterhaltsrecht, Arbeitnehmerinnen.

Ortgies habe neue Leserschichten für das Blatt gewinnen wollen, heißt es - und damit auch jene jungen Frauen, die sich heute vielleicht eher hinter den sogenannten neuen Feministinnen versammeln, den "Alphamädchen", als hinter einer Weltsicht, die ihnen, schon weil sie jung und anders sozialisiert sind, als hoffnungslos überkommen und ideologisiert erscheinen muss. Damit sei die Neue aber nicht durchgekommen, ist zu hören; Alice habe eben "andere Vorstellungen davon, was echte Frauenthemen" seien. Die FAZ dazu hämisch: "Zu dieser Art des Umgangs unter Frauen fielen einem eine Menge Machosprüche ein."

Machterhalt

Nicht nur der FAZ. Bascha Mika, Chefredakteurin der taz und kritische Schwarzer-Biografin, sagt zu diesem Vorgang: "Jetzt wird zum ersten Mal auch einer breiten Öffentlichkeit bewusst, wie Alice strukturiert ist." Schwarzer, die immer für "die Frauen" zu reden beanspruche, verachte ihr Geschlecht eigentlich. "Das System Schwarzer dreht sich um Machterhalt", so Mika bitter, "sie zeigt sich gern mit der Kanzlerin oder mit Sabine Christiansen, aber mit ihresgleichen redet sie nicht auf Augenhöhe."

Das haben zuletzt auch jene jungen Frauen zu spüren bekommen, die sich anmaßten, Vormachtstellung und Deutungshoheit von Schwarzer als Alpha-Feministin der Republik in Frage zu stellen. Wenngleich die Konturen dieses "neuen Feminismus" noch recht vage sind, haben Jana Hensel und Elisabeth Raether mit ihrem Buch "Neue Deutsche Mädchen" oder Barbara Streidl, Meredith Haaf und Susanne Klingner, Verfasserinnen von "Wir Alphamädchen", einigen Erfolg: Die Medien-Öffentlichkeit mag den neuen Ton und lässt den Nachwuchs gern zu Wort kommen.

Karriere und Männer

Was erfreulich sein müsste für Schwarzer - Frauenthemen sind wieder in - , findet diese unerträglich. Deshalb haben die Jungen gewaltig eins aufs Dach gekriegt von der Chefin, denn: Sie hatten es gewagt, den Feminismus der Emma nicht mehr zeitgemäß zu finden. Schwarzer lästerte in der Börnepreis-Rede, diese Mädels interessierten sich "nur für ihre persönlichen Belange: sprich für Karriere und Männer. Es ist neu, dass man sich einer solchen Kaltherzigkeit nicht einmal schämen muss, sondern sie auch noch im Namen des Feminismus zum Programm erheben kann."

Karriere und Männer sind zwei Themen, die auch Lisa Ortgies in der Emma gern etwas entspannter behandelt gesehen hätte. Alles falsch, alles verludert, findet Schwarzer. Ganz offensichtlich gibt es für sie keine Brücke in die Neuzeit.

Susanne Klingner jedenfalls könnte sich vorstellen, dass Schwarzer ihre eigene Bedeutung geschmälert sieht durch die Alphamädchen und zitiert mit Schaudern Harald Schmidt, den Laudator aus der Paulskirche. Der hatte Schwarzer mit den Worten gefeiert, diese sei größer als der Feminismus. Der Feminismus sei ja als Idee schon sehr groß, findet Klingner, wie denn da ein Mensch größer sein könne - oder gar wolle?

Mama klammert

In einem Eintrag auf der Webseite der Alphamädchen, die sich "Mädchenmannschaft" nennt, liest sich das, wiederum hübsch aber böse, so: "Die Fidel Castra versenkt sich selber in der Bedeutungslosigkeit, nicht ohne noch ein paar Verwünschungen auf unfähige Familienfrauen, Ex-Aushilfschefredakteurinnen, Pornoverharmloserinnen, Feuchtgebietsexpertinnen, Feminismusverluderinnen auszustoßen. Ich seh sie schon in ihrem Turm mit dem Aufzug (der Aufzugin?!) ganz nach unten fahren. Und ihr schwarzes Gewand wird eins mit der dunklen Tiefe des Rheins. Drama, Baby!"

Ein wenig erinnert das an die schwierige Übergabe eines Familienbetriebs. Die Seniorin mag nicht ins Austragshäusl und glaubt, ihre Kinder könnten es nicht. Und die Juniorinnen drängen die Mama hinaus, je mehr die sich an ihr Lebenswerk klammert. Schwarzer hat, bei der Liberalisierung der Abtreibung oder im Kampf gegen den Frauenhandel, Großes geleistet. Sie kann, bestätigt auch Bascha Mika, herzlich und charismatisch sein. "Aber inzwischen erinnert sie mich an einen mächtigen Manager, der sich mit Kofferträgern und Jasagern umgibt und den Kontakt zur Wirklichkeit verliert."

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Quelle:
SZ vom 10.6.2008/rus
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