Süddeutsche Zeitung

Alben der Woche:Wo 'ne Villa ist, ist auch ein Weg

Lesezeit: 4 min

Cro: sehr bunt. Haftbefehl: pechschwarz. Julia Stone schnurrt viel, Marianne Faithfull bewirbt sich um den Kitschpreis. Und "Royal Blood" werden poppiger.

Royal Blood - "Typhoons" (Warner)

Zwei gegen den Rest der Welt: Manchmal kann ein Duo mehr Kraft entfalten als eine Band aus vier, fünf, sechs Leuten. Siehe die Elektropunks Suicide vor 40 Jahren, die frühen Black Keys vor 20 oder zuletzt Royal Blood. Da stehen nur zwei auf der Bühne, keine Mannschaft, niemand kann sich verstecken, das holt im Idealfall aus den Beteiligten das maximale Adrenalin raus. Zwei Mann, Vollgas. Immer wieder kaum zu glauben, wie Royal Blood in den vergangenen Jahren nur mit Schlagzeug und Bass ganze Festivals aufgemischt haben. In England werden sie seit ihrer Gründung 2013 gefeiert wie ein Heiland mit vier Armen, ihre bisherigen Alben kamen dort auf Platz eins der Charts, jetzt folgt das dritte, "Typhoons" (Warner).

Der harte Riffrock ist poppiger geworden, tanzbarer, mehr Arctic Monkeys, mehr Disco. Der berüchtigte Zerr-Bass dröhnt gelegentlich nur im Hintergrund rum, dafür vorne oft Synthesizer, Klavierakkorde, Gezirpe. Hätte es nicht unbedingt gebraucht, aber bitte, es verdient unbedingt Respekt, dass die beiden nicht auf der Stelle treten wollen. Wenn es irgendwann wieder Konzerte gibt, werden sie sich schon aufs Wesentliche konzentrieren. Max Fellmann

Cro - "trip" (Universal Music)

Der Stuttgarter Rapper Cro lebt seit einem guten Jahr quasi Vollzeit auf Bali. Großes Aussteigerprogramm: Yoga, meditieren, Beatles hören. Alles allerdings auf einem eigenen Grundstück, das er sich vor ein paar Jahren, beim ersten Besuch dort, gekauft hat. Schwabe ist er ja trotzdem noch. Scheint jedenfalls schön zu sein. In seinen Worten: "Ich wache mit der Sonne auf, kleine Welpen tollen über die Wiese, alles ist bunt und fröhlich." Seine neuen Songs heißen entsprechend "Alles Dope", "Good Vibes", "Nice", "Smooth" und "Diamonds". Und das wären nur ein paar von der ersten Hälfte des Doppelalbums. Die, auf der er sehr beharrlich versucht, "Random Access Memories" von Daft Punk noch mal neu aufzunehmen. Auf der zweiten Hälfte schlagen dann Yoga und Meditation und die Beatles durch. Und das ist alles natürlich ungefähr drei Stufen zu ambitioniert, um nicht schiefzugehen. Aber wie knapp es zum Teil schiefgeht, allein das verdient tiefen Respekt. Und lässt über die latent einsetzende Wohlstandsverwahrlosung locker hinwegsehen: "Und sie staunt nicht schlecht, als sie checkt, dass man straight aus'm Bett ins Meer springen kann - oh yeah / sie schaut mich an, als ob das nicht geht / doch wo 'ne Villa ist, ist auch ein Weg". Jakob Biazza

Marianne Faithfull und Warren Ellis - "She Walks in Beauty" (BMG)

Auch zwei Menschen, aber ganz was anderes, eigentlich vielversprechend: Die große Marianne Faithfull hat mit Warren Ellis, dem ewigem Nick-Cave-Begleiter, ein Album aufgenommen. Es heißt "She Walks in Beauty" (BMG). Im vergangenen Jahr wäre Faithfull fast an Covid-19 gestorben. Ihre Stimme war vorher schon geheimnisvoll brüchig, jetzt aber denkt man bei jedem Ton Krankheit und Auferstehung mit. Sie singt hier nicht, sondern liest Keats, Byron, große Gedichte der englischen Literaturgeschichte. Dazu hat Ellis das geschaffen, was manche gern Klanglandschaften nennen. Viel Lauern in Moll, wabernde Sounds, Elemente von Filmmusik. Bei ein paar Stücken spielt Nick Cave Klavier, auch Brian Eno war dabei. In den guten Momenten hat das eine sehr eigene Magie, Faithfulls wunderbarer Stimme sei Dank. Leider gibt es genauso viele Momente, in denen die Klaviertöne zaunpfahlmelancholisch im Hall rumstehen wie in einem Sat1-Film-Abspann. Da werden Faithfull und Ellis umgehend zu Kandidaten für den Kitschpreis. Schade. Max Fellmann

Julia Stone - "Sixty Summers" (BMG)

Jetzt mal nur eine von zweien: Julia Stone ist seit vielen Jahren mit ihrem Bruder Angus als Duo unterwegs, bekannt sind sie für zarte Songs, zart gehaucht zur zarten Akustikgitarre (wird deutlich, dass das alles immer sehr zart ist bei den beiden?). Zwischendurch veröffentlicht Julia Stone auch Musik ohne ihren Bruder. Die Songs sind dann gar nicht so grundlegend anders, aber manchmal wollen Geschwister halt ihre Ruhe. Auf dem dritten Soloalbum "Sixty Summers" (BMG) traut sich Stone ein paar Schritte weg vom Lagerfeuer, versucht sich an schwungvollem Pop, auch mit elektronischen Elementen, tänzelt ein bisschen, gelegentlich mit einer Zehe schon drüben im Reich der Elfenkönigin Lana Del Rey. Man sollte als Hörer alle paar Songs eine Pause einlegen, sonst kann einem der überschnurrige "Ich bin nur ein kleines Miezekätzchen"-Gesang auf die Nerven gehen. Aber in der richtigen Dosierung hat diese Liedersammlung einen angenehm schläfrigen Charme. Max Fellmann

Haftbefehl - Das Schwarze Album (Universal Music)

"Kaputte Aufzüge" zum Beispiel: Synthie-Flächen, die der Welt alle Farbe aussaugen, eine glaskalte E-Gitarre, Autotune, das die Stimme schon lange nicht mehr gerade zieht, sondern nur noch schmerzverzerrt: "Mama war beim Supermarkt und Metzger grad, (...) und ich hol die Tüten jetzt ran, vom Erdgeschoss in die 16. Etage / Ja genau, plus vier Packs je sechs Flaschen Metzeral / Der Kanak' sagt zu seiner Schwester: 'Macht ihr das etwa extra?'" Hook: "Kennst du das, kaputte Aufzüge?"

Nur mal so: Wer hier kennt das, kaputte Aufzüge? Eben.

Trotzdem sieht jeder sofort das enge Treppenhaus vor dem geistigen Auge. Fühlt das klebrige Geländer. Riecht den Urin, den kalten Crack-Rauch, die Haschschwaden hinter den Türen. So funktioniert die Lyrik von Haftbefehl auf "Das Schwarze Album" (Universal Music), das nicht mal ein Jahr nach dem dem "Weißen Album" erscheint. Wortfetzen-Metaphern, Schlaglicht-Inhalte. Die Phonetik einzelner Silben wichtiger als Satzbau und Grammatik. Trotzdem im richtigen Moment sehr, sehr präzise.

Darunter diese Wahnsinnsmusik. Die dreidimensionalen Klangwelten von Produzent Bazzazian. Internationaler Goldstandard, nicht der Pappmaché-Kram, den es hier sonst gibt. Pure Emotion. Punk-Attitüde, Rock-Hymnen-Pose. Irre schlau trotzdem. Rap-Tracks für Menschen, die Rap flach finden. Überall stottert, sirrt, kracht und flimmert irgendwas, ständig jammert, leiert, keift und strahlt ein Synthie, ein Klavier, womöglich sogar so etwas wie eine Geige. Die Drums starten, die Drums stoppen, überhaupt klingen sie, als wären sie auf Weltraumschrott auf der dunklen Seite des Mondes gespielt. Vier verschiedene Emotionen in 16 Takten. Dauernd entdeckt man etwas Neues. Absoluter Grower. Eines der besten Alben des Jahres. Mindestens. Jakob Biazza

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