Süddeutsche Zeitung

Alben der Woche:Hymnen für mies bezahlte Menschen

Alicia Keys drängt mit Menschen, die sie sehr gut findet, in die Charts. Cat Stevens nimmt gleich mit seinem jüngeren Ich auf. Und Capital Bra klingt eh wieder und wieder wie er selbst - und damit wie alle.

Von den SZ-Popkritikern

Alicia Keys - Alicia (Sony Music)

Erstaunlich, dass dieses Album zur runden Sache geworden ist. Alicia Keys hat nämlich für die 15 Songs ihres siebten Studioalbums "Alicia" (Sony Music) mit den unterschiedlichsten Leuten kooperiert. An "Underdog" hat Ed Sheeran mitgeschrieben, der Refrain von "Love Looks Better" klingt, als hätte vor seinem Tod noch Avicii seine Finger mit im Spiel gehabt (sprich: als könnten in jedem Moment fieseste Alarm-Synthies loszucken). Zwei Beispiele für den Mega-Stadion-Hymnen-Anspruch, den dieses Album auch hat. Alicia will doch in die Charts! Aber da sind genauso die heruntergekochten R&B- und Soul-Essenzen, etwa "You Save Me". Eine Etüde darüber, wie zwei Soulstimmen mit nichts als zwei Akkorden das Herz weichmachen können. Keys singt hier zusammen mit der schwedisch-persischen R&B-Aufsteigerin Snoh Aalegra. Noch intimer: "Jill Scott". Das Stück heißt wirklich so, wie die Sängerin, und die schaut dann auch für eine Spoken-Word-Passage vorbei. Das ist Keys' Verneigung vor einem Star der R&B-Generation vor ihr, wobei "Jill Scott" im Grunde - "la-la-la-la-la-la-la-la-la" - sogar klingt, als sei es ein vergessener Minnie-Riperton-Song aus den Siebzigern. Also noch mal ein paar Generationen weiter zurück. Der Vintage-R&B-Vibe ist das Kraftzentrum des Albums, von hier aus geht es dann noch weiter zur hochglanzpolierten Black-Lives-Matter-Hymne "Perfect Way To Die" und zum Erbauuungslied für alle mies bezahlten Menschen in systemrelevanten Berufen: "Good Job". Keys hämmert hier wütend und zugleich versöhnlich in ihr Klavier hinein. Hut ab!

Thelonious Monk - Live At Palo Alto High School (Impulse)

Von all den verschollenen Alben, die derzeit in großer Zahl aus den Tiefen der Jazz-Archive auftauchen, hat "Thelonious Monk Live At Palo Alto High School" (Impulse) die schönste Geschichte. Denn das Konzert, das der Erfinder des Be Bop am 27. Oktober 1968 in der Palo Alto High School gab, wurde von einem naseweisen Teenager namens Danny Scher organisiert. Der scherte sich nicht darum, dass da ein schwarzer Superstar an einer sehr weißen Schule auftreten sollte. Und das im Herbst eines Jahres, in dem das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen in den USA auf einem Tiefpunkt war. Man hört, dass die Band an diesem Sonntagnachmittag sehr gute Laune hatte. Und auch wenn das Album außer einer Anekdote über die Musik als Friedensstifter nicht viel Neues bringt, ist es ein guter Einstieg in die Musik eines Giganten. Oder eben das Dokument eines der bestgelaunten Momente im Leben eines Pianisten und Komponisten, der so viele Türen öffnete, warum nicht auch eine, hinter der ein wenig Hoffnung leuchtet. Hier gibt es eine Seite Drei zum Thema: Über Danny Scher, über Amerika damals und heute, über Rassismus - und die Macht der Musik.

Marilyn Manson - We are Chaos (Loma Vista Records)

Dies aus der vergangenen Woche noch geschwind nachgereicht: Marylin Manson ist nach wie vor kein besonders hübscher Kerl, alle zwei, drei Jahre ein neues Album, immer mal wieder eine kontroverse Äußerung - aber die ganz große Aufregung ist lange her. Um die Jahrtausendwende war der Horror-Clown allgegenwärtig, verstörte mit Aussehen und Sprüchen, sein böser Crossover-Rock passte gut in die Zeit. Der beste Gag waren allerdings die Namen, die Brian Warner sich und seinen Musikern gab: jeweils weiblicher Superstar plus Serienkiller, also Marylin Manson, Twiggy Ramirez, Madonna Wayne Gacey, Oliva Newton Bundy und so weiter. Zwanzig Jahre später hat sich der Staub gelegt, aber in die jetzige Endzeitstimmung passt Manson mit seinem neuen Album "We Are Chaos" wieder ganz gut. Bis auf ein paar wenige explosive Momente knüpft er aber eher bei den ruhigen Tönen an. Akustische Gitarren, sanfte Melodien - nicht versöhnlich, aber doch gesetzt, fast ein wenig müde. Der getragene Song "We Are Chaos" könnte eine Bowie-Hymne sein, "Paint You With My Love" eine Ballade von Guns'n'Roses. Und es gibt sogar Momente der Zartheit: "In the end we all end up in a garbage dump / but I'll still be here holding your hand". Es könnte spannend werden, was der Mann für Musik macht, wenn er alt ist.

Cat Stevens - Tea for the Tillerman 2 (Universal)

Apropos alt, der weißbärtige Cat Stevens nannte sich viele Jahren Yusuf Islam, jetzt aber doch auch wieder ein bisschen Cat Stevens. Nach Jahrzehnten als strikter Muslim hat er in den vergangenen Jahren angefangen, sich mit seiner Pop-Vergangenheit zu versöhnen. Das Album, mit dem er 1970 berühmt wurde, hat er jetzt noch mal komplett neu aufgenommen, demnächst erscheint "Tea For The Tillerman 2". Für die Vorab-Single, seinen Klassiker "Father And Son", kam er dabei auf eine sehr hübsche Idee: Er hat das Lied neu eingespielt und singt mit sonorem Altherrenbrummen die Textstellen des titelgebenden "Father" - für die "Son"-Zeilen wurden Teile einer unveröffentlichten Live-Aufnahme von 1970 verwendet und per Computer dazugemischt. Es singt also Cat Stevens, 72, zusammen mit Cat Stevens, 22. Fehlt bloß noch ein Video mit Michael J. Fox, dann wäre das Ganze "Zurück in die Zukunft 4". Aber auch jenseits des schönen Solo-Duetts ist Cat Yusuf zugute zu halten, dass er sich nicht einfach nur im Glanz der Vergangenheit sonnt, sondern noch mal neu an die alten Stücke traut.

Capital Bra - CB 7 (Universal)

Mal nur so als Gedankenspiel: Wenn man "CB7" (Urban/Universal Music), das neue Album von Capital Bra, hören könnte, als ob es die vorherigen sechs nicht gegeben hätte - wie fände man es dann? Wäre man noch verstört von der Wut, die sich zusammen mit der Gossenromantik zu etwas spürbar Bedrohlichem hochschraubt? Würden einen die federnden Sommerbeats in den Wahnsinn treiben, weil sie so sehr querstehen zur wintergrauen Traurigkeit der Texte? Fände man die Selbstermächtigungslyrik des Underdogs authentisch? Erbauend? Besorgniserregend? Und was ist mit den Koksbergen? Der Tilidin-Sucht? Den fetten Uhren und Autos? Den Knarren, Messern, Totschlägern und Fäusten? Erschien einem der Schmerz da noch direkt und ungefiltert und deshalb so greifbar? Nun, vermutlich: ja. Andererseits würde man selbst dann womöglich merken, dass die insgesamt 21 (!) Songs eindeutig nicht für ein Album-Konzept, sondern den Spotify-Single-Markt kuratiert sind. Und dass sie sich - vermutlich auch deshalb - bei den Beats, den Melodien, den Themen, den Emotionen wieder und wieder im Kreis drehen. Deutlicher gesagt: Abseits von allen Gedankenspielen klingt Capital Bra inzwischen wieder und wieder wie er selbst - und damit leider auch immer mehr wie jeder andere.

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