Süddeutsche Zeitung

Restitution an Äthiopien:Jetzt bekommen sie wenigstens die Locke

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Von Bernd Dörries

Man kann derzeit nicht sagen, in welchem Zustand sich die kaiserliche Locke befindet, ob sie noch so kräftig schimmert wie zu Lebzeiten ihres einstigen Besitzers. Oder ob das Haar 150 Jahre nach dem Tod von Tewodros II. etwas an Geschmeidigkeit verloren hat. Derzeit sei es nicht möglich, die Locke zu fotografieren, teilt das britische Nationale Kriegsmuseum mit, zu heikel sei die Angelegenheit. Dabei hatte das Museum viele Jahrzehnte gar keine Probleme damit, das Haar des Kaisers von Äthiopien zu zeigen, als wichtigen Teil der Geschichte des Vereinigten Königreiches.

Für die Äthiopier war es schlicht ein plumper Diebstahl, seit Jahrzehnten bemühen sie sich um die Rückgabe der Überreste des Kaisers. Dieser Bitte wurde nun am Montag entsprochen. In den kommenden Monaten soll die Locke nach Äthiopien überführt und wohl in der Kaisergruft im Norden des Landes beerdigt werden. Es werde eine "feierliche Euphorie" im ganzen Land herrschen, prophezeite die äthiopische Botschaft in London.

Das Riesenreich Äthiopien wurde viele Jahrhunderte lang von Kaisern regiert, jeder Äthiopier hat seine persönlichen Favoriten, Tewodros II. landet bei vielen ganz oben auf der Beliebtheitsskala. In seiner Regierungszeit von 1855 bis 1868 versuchte er, den Vielvölkerstaat zu befrieden und zu modernisieren. Die Briten bat er um Hilfe im Kampf gegen die Ägypter im Norden. Als er auf seinen Brief keine Antwort bekam, nahm er schwer beleidigt ein paar Europäer in seiner Festung gefangen. Die nicht minder beleidigten Briten schickten eine Strafexpedition mit 60 000 Soldaten, es war eine heftige Schlacht, Tewodros II. wählte den Freitod, um der Gefangenschaft zu entgehen. Um nicht mit leeren Händen nach Hause zu kommen, ließen die Briten je nach Quelle 15 Kamele oder Elefanten die Reichtümer des Kaisers abtransportieren, auch seinen Sohn nahmen sie mit.

Viele Gegenstände seien damals "in guter Absicht" nach England genommen worden, sind sich die Vertreter des Nationalen Kriegsmuseums noch heute sicher. Die Äthiopier sehen das anders und fordern schon lange die Rückgabe der Beute. Jetzt bekommen sie zumindest die Haarlocke, die aber ein Einzel- und kein Präzedenzfall sei, wie das Museum behauptet. Die anderen Schätze wollen die Briten bisher nicht hergeben. Seit Jahren wird in Europa über die Rückgabe des kolonialen Diebesgutes debattiert. Derzeit häufen sich zumindest die Einzelfälle, Kulturgüter werden zurück an ihre ursprünglichen Besitzer gegeben.

Vergangene Woche brachte eine Delegation aus Baden-Württemberg die Bibel und die Peitsche des Nationalhelden Hendrik Witbooi nach Namibia zurück. Verschiedene europäische Museen wollen wertvolle Benin-Bronzen zumindest leihweise zurück nach Nigeria lassen. Es sind erste Schritte, aber nur Bruchteile der Beute. Am deutlichsten hat sich bisher der französische Präsident Emmanuel Macron für eine umfassende Rückgabe ausgesprochen, die in Frankreich 90 000 Objekte betreffen könnte. So weit ist man in Deutschland noch nicht. Dort berufen sich manche Verantwortliche in Museen immer noch darauf, dass die Objekte zu Kolonialzeiten rechtmäßig erworben worden seien.

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SZ vom 06.03.2019
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