Süddeutsche Zeitung

Achtet die Bürgermeister:Die Weisheit der Städte

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Zum Auftakt der UN-Generalversammlung hat die "New York Times" den Bürgermeistern von New York, Paris und London das Wort erteilt. Zu Recht: Bürgermeister sind die pragmatischsten Politiker! Auch in Asylfragen.

Von Andrian Kreye

Die New York Times überlegt sich immer sehr gut, wem sie wann einen Gastbeitrag auf der Op-Ed-Seite einräumt. Wenn dort also zum Auftakt der Generalversammlung der Vereinten Nationen die Bürgermeister von New York, Paris und London in einem gemeinsamen Text fordern, man solle alles dafür tun, dass sich sowohl politische als auch wirtschaftliche Flüchtlinge so rasch wie möglich ihren neuen Heimatstädten zugehörig fühlen, ist das ein politisches Signal.

Nun regieren Bill de Blasio, Anne Hidalgo und Sadiq Khan mit New York, Paris und London drei Weltstädte, die historisch viele Erfahrungen mit der Einwanderung haben. Nach den jüngsten Anschlägen von Paris und New York ist die Sicherheit auch für sie das dringendste Problem. Sie erklären aber sehr deutlich, dass die Möglichkeit, dass Flüchtlinge mit vorläufigen Ausweisen am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben teilnehmen können, die Sicherheit enorm erhöht. Und dass damit die Grundlage für eine Integration geschaffen wird, von denen die Städte langfristig profitieren werden.

Durch den oft banalen Alltag ist das Weltbild der Bürgermeister vom Pragmatismus geprägt

Warum Weltpolitiker auf Bürgermeister hören sollten? Was sie viel zu selten tun? Man kann das auf die einfache Formel reduzieren, dass Regierungen Probleme debattieren und Städte sie lösen. So haben Bürgermeister oft sehr viel mehr praktische Erfahrungen mit den ganz realen Problemen im Land. Und inzwischen gehören sie oft zur vordersten Front progressiver Entwicklungen, auch wenn die Öffentlichkeit diese Rolle selten anerkennt.

Das hat vor allem damit zu tun, dass sich eine Stadtverwaltung mit so unglamourösen Dingen wie Stromversorgung, Schlaglöchern oder kaputten Schulklos herumschlagen muss. Bei einem so gewaltigen und gleichzeitig globalen Thema wie der Flüchtlingsfrage sind es die Kommunen, die politische Visionen umsetzen müssen, sei es, dass sie Empfangsstationen errichten wie etwa in München, sei es, dass sie Bahnhöfe sperren wie in Budapest.

Dieser oft so banale Alltag zwingt die Bürgermeister zu einem Weltbild, das vom Pragmatismus geprägt ist. Nicht jeder Bürgermeister hat deswegen gleich das Zeug zum Willy Brandt (und zum Glück auch nicht zum Boris Johnson). Doch die Vereinten Nationen wären gut beraten, wenn sie den Stadtverwaltern Gehör schenkten.

Etwas abseits vom Lauf der Weltpolitik konsolidiert sich der Einfluss der Bürgermeister in landes- und weltweiten Netzwerken, die erstaunlich wirksam sind. Eine der bekanntesten Organisationen ist die "United Cities and Local Governments" mit Sitz in Barcelona. Über 240 000 Städte und Metropolen in 140 Ländern haben sich da zusammengeschlossen. Das entspricht rund fünf Milliarden Menschen oder 70 Prozent der Weltbevölkerung.

Blättert man durch seine Publikationen, wird deutlich, für welche politischen Stoßrichtungen das Netzwerk steht. Es geht irgendwo zwischen grünem Bewusstsein und marktwirtschaftlicher Vernunft um Nachhaltigkeit, Umwelt, Integration, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Stabilität. Die Sicherheitsfragen sind eher eine Fußnote, weil man das in diesen aufgeheizten Zeiten nicht ausklammern kann.

Es sollten aber nicht nur die Weltpolitiker Macht und Weltbild der Bürgermeister sehr viel ernster nehmen. Auch die Wähler werden lernen, dass Kommunalwahlen mindestens so wichtig sind wie das Spektakel der nationalen Wahlkämpfe. Um das mal als Münchner zu formulieren: Dieter Reiter mag glänzen, wenn er beim Wiesn-Anstich das Fass mit zwei beherzten Schlägen anzapfen kann. Noch viel mehr könnte er aber strahlen, wenn man auf die Erfahrungen seiner Stadt als erste Anlaufstelle der Flüchtlingsströme hören würde, anstatt CSU-Schwätzer ernst zu nehmen oder AfD-Zündler in Talkshows einzuladen.

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Quelle:
SZ vom 22.09.2016
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