Süddeutsche Zeitung

80. Geburtstag:Selbstverteidigung

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Die Germanistin und Essayistin Hannelore Schlaffer kennt kein Erbarmen mit schlechtem Benehmen. Sie hat über Goethe, Mode, die City geschrieben.

Von Thomas Steinfeld

Frau Schlaffer kann sehr streng sein. Dann legt sie den Kopf ein wenig zurück, während ihr das pechschwarze Haar zur Seite fällt, und schaut mit ihren blauen Augen auf ihr Gegenüber: "Herr ...", sagt sie dann, und wer immer angesprochen wird, weiß, dass er nun Haltung annehmen muss. Mangelnde Bildung wird verziehen, halb fertige Gedanken werden repariert, Dummheiten freundlich zurechtgewiesen. Aber dass jemand im Gespräch keine Haltung zeigt, dass er ausweicht, auf die Institutionen schimpft, zu tratschen beginnt oder ein anderweitig schlechtes Benehmen an den Tag legt: Das geht nicht. Der Satz, der mit "Herr ..." beginnt, bedeutet, wie immer er weitergehen mag, dass das Gegenüber von nun an die völlige Verantwortung für sich zu tragen habe im Hin und Her präzise gedachter und formulierter Argumente. Man befindet sich schließlich unter gebildeten, lesenden und schreibenden Menschen.

Wäre Hannelore Schlaffer nur eine Germanistin, gäbe es genug zu achten: ihre frühen Studien zum Historismus (1975), ihr Buch über Goethes "Wilhelm Meister" (1980), in dem sie die landläufige Überzeugung umkehrt, das Werk handele vom Übergang von einem poetischen zu einem vernünftigen Leben, ihre Monografie über die Novelle (1993), in der sie bis zu Boccaccio zurückgeht, um die gängigen Bestimmungen der Novelle - die unerhörte Begebenheit, das offene Ende - auseinanderzunehmen und einem Motiv zuzuordnen, nämlich der erotischen Begegnung.

Hannelore Schlaffer ist aber viel mehr als eine Germanistin. Angefangen bei ihrem kleinen Buch über "Schönheit" (1996) ist sie vor allem eine Essayistin, in einem ernsten, radikalen Sinn, insofern es bei einem Essay, wie es schon bei Montaigne, darum geht, nicht nur über etwas, sondern auch über sich selbst zu schreiben. Das bedeutet in diesem Fall: Hannelore Schlaffer begreift Schönheit als auch persönliche Herausforderung, sie beharrt auf der Anstrengung, die Schönheit überhaupt erst zur Schönheit macht, sie weiß von der Nähe der Schönheit zu Macht und Gewalt, und sie kennt kein Erbarmen mit dem schlechten Benehmen: "Die Nachwelt hat die ideelle Nacktheit mit der anatomischen verwechselt. Deren Armseligkeit, die nur die Liebe zu akzeptieren vermag, wirkt, ausgestellt in aller Öffentlichkeit, erschreckend unschön - gelinde gesagt!"

Sieben solcher Essays in Buchform sind bislang erschienen. In drei von ihnen geht es um Kleider oder Mode. Wenn sich Hannelore Schlaffer über diese Dinge beugt, verwandeln sich die scheinbar leichten Dinge in existenzielle Fragen, denen sie mit einem fast überscharfen Sinn für kulturelle Errungenschaften und Verluste, zuweilen aber auch mit einem erbarmungslosen Materialismus, gegenübertritt. Die anderen Bücher handeln vom "Alter" (2003), von der "intellektuellen Ehe" (2011), der "City" (2014) und der "Erfolgsgeschichte des Intellektuellen" (2018). In jedem dieser Bücher findet sich ein biografischer Kern (auch wenn man ihn manchmal erraten muss). Ein jeder dieser Essays ist physiognomisch orientiert auch in dem Sinn, dass er tatsächlich von Körpern handelt, und sei es vom "schlecht gekleideten Rüpel", zu dem sich der Intellektuelle in seiner vorletzten Verfallsform gewandelt habe. Die letzte Verfallsform ist dann der selbst ernannte Denker, der sich durch die Talkshows lümmelt und über nichts mehr reden kann als über sich selbst.

Aus schierer "Selbstverteidigung" entstehe die Meinung, die einem jeden Essay zugrunde liege, hatte Hannelore Schlaffer in einem Aufsatz aus dem Jahr 1975 geschrieben. Der Essay, als Genre, steht insofern auch für die Haltung, mit der sie dem Verfall der Mode, der Stadt, des Respekts vor dem anderen (insbesondere in der Ehe) entgegentritt.

Gar nicht erstaunlich ist es also, wenn auch ihre Essays ihre Köpfe ein wenig nach hinten zu neigen scheinen, um mit blauen Augen auf ihre Leser hinunterzuschauen. An diesem Dienstag wird Hannelore Schlaffer achtzig Jahre alt. Aber was ist schon Alter, wenn man noch denken, schreiben und reden kann?

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Quelle:
SZ vom 06.08.2019
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