Süddeutsche Zeitung

Weltraumtourismus:Freiheit darf nicht grenzenlos sein

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Jeff Bezos' Kurzflug ins All kam bei einigen Lesern schlecht an: Verschwenderisch, finanziell wie auch ökologisch. Jeder könnte ein CO₂-Konto bekommen, so ein Vorschlag, Verschmutzung übers Normalmaß sollte teuer bezahlt werden.

Zu " Auf und davon" vom 21. Juli, " Unvernunft muss kosten" vom 14. Juli, " Milliardäre im All: Wer hat die größten?" vom 13. Juli sowie zu " Galaktische Konkurrenz" und " All inklusive" vom 9. Juli und " Bleib doch oben" vom 25. Juni:

Ist es nicht im höchsten Maße abstoßend, wie die Bezos und Co. ihren Reichtum zur Schau stellen. In zehn Minuten werden aus Jux Hunderttausende, wenn nicht Millionen Dollar verbrannt, so wie sich andere Menschen ein Streichholz anzünden. Es genügt diesen Superreichen nicht, sich teure Villen, Autos, Yachten und, wenn es sein muss, auch mal Regierungen zu kaufen, nun wollen sie sich über die ganze Menschheit erheben.

Warum erlauben wir, die wir auf der Erde geblieben sind und uns mit einer Pandemie, einer Klimakatastrophe, mit sintflutartigem Regen oder höllischem Feuer auseinandersetzen müssen, diesen Menschen ihr asoziales Tun? Wir erlauben es nicht nur, wir fördern es, indem wir ihnen die überflüssigen Waren abkaufen, die sie uns mit perfiden Mitteln ständig unterjubeln. Der Wert der bemannten Raumfahrt, die bislang nur von Staaten betrieben wurde, ist schon äußerst zweifelhaft, bedient die bemannte Raumfahrt doch in erster Linie das jeweilige nationale Ego, während die wissenschaftlichen Ergebnisse eher bescheiden sind. Aber was sich nun Weltraumtourismus nennt, ist die ungeschminkte Hybris Einzelner. Jeff Bezos grinst aus seiner Kapsel. Was will er uns sagen? Watet ihr da unten nur im Schlamm von Erftstadt, ihr verdient es nicht besser?!

Dr. Gottfried von Aulock, München

Wir sind nur Gast auf Erden

Weltraumhotels für Superreiche sind natürlich genau das, was eine Menschheit braucht, die bezüglich Energie- und Rohstoffverbrauch weit über ihre Verhältnisse lebt. Uns ist der einzige lebensfreundliche Planet innerhalb von Millionen Kubiklichtjahren anvertraut und wir machen ihn innerhalb einer kosmisch winzigen Zeitspanne für zahllose andere Arten unbewohnbar. Dass die Menschheit wie alle biologischen Arten irgendwann ausstirbt, ist völlig normal und kein Grund, den Mars oder andere Planeten zu "terraformieren" (will heißen: auch noch kaputtzumachen). Ein schönes Kirchenlied mahnt: "Wir sind nur Gast auf Erden". Sehr richtig, aber wer mag schon einen Gast, der als letzter kommt und dann zügig die Luft verpestet, den Teppich versaut, den Kühlschrank leer frisst und die Katze schlachtet?

Prof. Dr. Dagmar Schmauks, Berlin

Ein CO₂-Konto für jedermann

Der CO₂-Eintrag in die Atmosphäre dürfte mindestens 500 Tonnen pro Raketenstart betragen. Die vermutlich noch klimaschädlichere Rußpartikelverbreitung durch Kerosinverbrennung in der Stratosphäre ist da noch gar nicht eingerechnet. Würde den superreichen Hobby-Astronauten ein CO₂-Preis von 100 Euro pro Tonne finanziell wehtun? Wohl kaum, die 50 000 Euro CO₂-Steuer pro Raketenstart könnten diese Herren locker aus der Portokasse zahlen. Von ihrem exklusiven Kurzzeitvergnügen ließen sie sich durch solche Peanuts nicht abhalten, das würden selbst 1 000 Euro pro Tonne nicht schaffen.

Die Lösung könnte ein persönliches CO₂-Jahreskonto für alle Erdenbürger sein, das progressiv besteuert würde, sinnvollerweise exponentiell. Eine steuerfreie, klimaneutrale CO₂-Menge von zwei Tonnen pro Kopf und Jahr sorgten für soziale Verträglichkeit. Die dritte Tonne kostete dann 100 Euro, die vierte 200 Euro, die fünfte 400 Euro und die zwanzigste 13 Millionen Euro, was selbst Richard Branson beeindrucken dürfte. Die 500-te Tonne würde schließlich auch für Multi-Milliardäre unbezahlbar werden. Das Problem der individuellen CO₂-Emissionserfassung wäre ein rein technisches und sollte mit den heutigen Möglichkeiten implementierbar sein, zumindest in den hoch entwickelten Staaten der nördlichen Hemisphäre, die für den Löwenanteil der Emissionen verantwortlich sind.

Klaus Schanz, Traunstein

Rücksichtslose Fantasien

Erstaunlich, was nach (?) oder trotz der Pandemie wieder propagiert, vermarktet und bewundert wird: Während circa eine Milliarde von knapp acht Milliarden Menschen aktuell in prekären Umständen leben und viele hungern und des Hungers sterben, wissen (nicht nur) Superreiche und Mafiöse ignorant nicht wohin mit ihren gerafften Mitteln; sie scheren sich nicht um die Auswirkungen der technisch-kommerziellen Umsetzung ihrer Fantasien und Begierden auf Kosten der globalen Ökologie und des Klimas. Ganz nach dem Motto "me first"! Aber Achtung: Individueller oder kollektiver Egozentrismus vernichtet das unabdingbare ökologische Gleichgewicht und damit die Zukunftsaussichten von uns allen.

Dr. med. Norbert M. Hien, München

Verheerende Folgen

Nüchtern betrachtet war Bezos' Flug nur ein kurzer Sprung über die nach Theodor von Kármán benannte, fiktive Linie in 100 Kilometern Höhe. Sie markiert den aerodynamisch nutzbaren Bereich in unserer Erdatmosphäre und hat mit den Weiten des Weltalls nichts zu tun. Bezos' Rakete war mit einem Wasserstoff/Sauerstoff (LH2/LOX)-Triebwerk ausgerüstet. Es erzeugt eine Leistung von circa zwei Atomkraftwerken bei einem Kraftstoff-Verbrauch von etwa 110 Kilogramm pro Sekunde. Der Kraftstoff der Rakete war nach zwei Minuten und zehn Sekunden verbraucht. Die Kapsel flog anschließend ballistisch, also wie ein Stein, auf einer Wurfparabel weiter und erreichte nach weiteren zwei Minuten die Gipfelhöhe von 107 Kilometern, um dann im freien Fall auf die Erde zurückzuplumpsen, die letzten Meter mit Fallschirm.

Natürlich kann sich jeder nach Lust und Laune wie Münchhausen in die Luft schießen lassen. Problematisch wird es allerdings, wenn ein derartiges Spielzeug in nur zwei Minuten 120 000 Kilowattstunden (kWh) Energie verschlingt und Klima und Umwelt erheblich belastet. Freiheit ist ein hohes Gut, aber eben nicht grenzenlos. Mit dieser Energie könnte man mit dem Auto fünfmal um die Erde reisen oder ein Einfamilienhaus sechs Jahre lang beheizen.

Bezos' Rakete wurde auf "New Shepard" getauft, nach Alan Shepard, einem großen Raumfahrtpionier, der wohl nie mit einem solchen Spaßgerät geflogen wäre. Selbst wenn der Wasserstoff aus Grünstrom produziert worden wäre, was im Übrigen den doppelten Energieeinsatz nötig gemacht hätte, bliebe ein gigantischer CO₂-Fußabdruck. Denn auch hier gilt die Regel: Regenerativer Strom, der nicht ins Netz eingespeist wird, erhöht den Kohleanteil im Strommix und damit den CO₂-Ausstoß der Kohlekraftwerke.

Jeff Bezos kann man zugutehalten, dass er mit seiner "New Shepard" die Atmosphäre im Flug "nur" mit NOx belastet und mit H₂O, das in den oberen Luftschichten ebenfalls als Klimagas wirkt. Richtig dramatisch wird es bei Sir Richard Bransons Vehikel. Sein Trägerflugzeug fliegt mit billigem Diesel (Kerosin), und für den Antrieb verwendet er ein hybrides Feststoff-Flüssigkeits-Triebwerk (HTPB/N₂O). Es ist einfach, billig, ineffizient und wegen seiner hohen Schadstoffentwicklung aus der Zeit gefallen. Der Schadstoffausstoß wirkt sich in der Strato- und Mesosphäre besonders verheerend aus, weil in diesen Luftschichten die Luftdichte klein und die Verweildauer der Schadstoffe groß ist, circa 100-mal größer als in der Troposphäre.

Vor dem Hintergrund der sich immer deutlicher abzeichnenden Erderwärmung mit seinen dramatischen Folgen für große Teile der Weltbevölkerung muss man den bevorstehenden Weltraumtourismus als Auswuchs einer zunehmend dekadenten Gesellschaft betrachten, auch wir sind ein Teil davon: Allen voran die Politiker, die dem Wirtschaftswachstum oberste Priorität einräumen, für den Klimaschutz notwendige Maßnahmen eher verhindern als fördern und nur unverbindliche Ziele verkünden ohne konkreten Plan für ihre Umsetzung. Ebenso die Notenbanken, die den "Markt" mit Geld fluten und uns Verbraucher mit Strafzinsen nötigen wollen, mehr zu verbrauchen, als wären nur Verbraucher gute Bürger, weil nur ein großer Verbrauch unseren Wohlstand sichert, der es uns ermöglicht, viel zu verbrauchen.

Aber auch wir Ingenieure, die wir bereit sind, jedem alles zu realisieren, wenn er nur genügend Geld auf den Tisch legt, ohne uns darüber Gedanken zu machen, was er damit anrichten kann. Und auch die meisten "ganz normalen" Bürger müssen sich bei der Nase nehmen, wenn sie gedankenlos mit Energie umgehen: Betriebsausflüge nach Mallorca, "Bildungsreisen" zum Südpol, Wandertouren in Patagonien, als Schüleraustausch getarnte Klassenfahrten nach China etc. Im Grunde sind die meisten von uns Bezos und Branson.

Prof. Dr. Ing. Albert Staudt, Bruckmühl

Strategische Optionen im All

Neben dem Weltraum-Tourismus geht es im All um mehr: Auch die Luftwaffe der Bundeswehr hat nun in diesem Jahr ein Weltraumkommando eröffnet. Mit dem neuen Weltraumoperationszentrum will Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer die Fähigkeiten Deutschlands zum Schutz eigener Satelliten verstärken. Die Indienststellung des "Air and Space Operations Center ASOC" in Uedem, in Nordrhein-Westfalen, sei ein erster Schritt für das Planen und Führen von Weltraumoperationen, sagte sie.

Weite Teile der modernen Technik - Telekommunikation, Internet und Navigation - hängen inzwischen von Satelliten ab. Anders als die USA, China und Russland hat Deutschland keine Fähigkeiten, um auf Angriffe im Weltraum militärisch zu antworten. Bis heute kann man nur diplomatisch reagieren. Denkbar aber sind Angriffe auf Satelliten mit Laserstrahl und dann nötige Reaktionen, um die Technik aus dem Strahlungswinkel wegzudrehen. Die technische Abwehr erfolgt also passiv. Daten sind aber auch zur Flugkörperabwehr am Boden und für die Weltraumaufklärung der Aktivitäten anderer Staaten und Mächte nötig. Diese werden in einer "Weltraumlage" dokumentiert. Auch das "Weltraumwetter" - die Situation im Falle atmosphärischer Störungen - ist für die Kommunikation auf der Erde relevant.

Aus Sicht von Militärexperten ergibt es für Deutschland wenig Sinn, Luft- und Weltraum zu trennen, ungeachtet der physikalischen Unterschiede. Deutschland geht damit einen anderen Weg als die Großmacht USA, die für den Weltraum eine eigene Teilstreitkraft aufgestellt hat. Die USA sind aber wichtigster Partner Deutschlands und Europas.

Dirk Wanke, Kiel

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Quelle:
SZ vom 29.07.2021
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