Süddeutsche Zeitung

SZ-Werkstatt:Fernsehen first

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Reporter Wolfgang Görl ist schon seit 20 Jahren als Berichterstatter beim Politiker-Derblecken auf dem Nockherberg dabei. Und hat dabei einen verstörenden Trend festgestellt.

Von Wolfgang Görl

Freibier-Honoratioren im Trachtenjanker, vorne das bayerische Kabinett, dann der Einzug des Ministerpräsidenten zum Trara des Bayerischen Defiliermarschs - "das ist nicht meine Welt", war der erste Gedanke, als ich vor 20 Jahren erstmals als Reporter zum Politiker-Derblecken auf dem Nockherberg geschickt wurde. Die "Salvatorprobe", das muss man wissen, ist im Freistaat ungefähr so wichtig wie ein G-20-Gipfel. Die bayerische Politprominenz und vereinzelt auch Berliner Größen sitzen hier in der Hoffnung, in der Bußpredigt und dem satirischen Singspiel ordentlich durch den Kakao gezogen zu werden, weil nur dies ein Beweis für die eigene Wichtigkeit ist. Erfahrene Politiker nehmen auch die übelsten Sticheleien mit routiniertem Lächeln hin, zumal sie wissen, dass ihr Mienenspiel im Fernsehen zu sehen ist. Wer sich als beleidigte Leberwurst gibt, muss mit Popularitätsverlusten rechnen. Die Höchststrafe aber ist, gar nicht erwähnt zu werden.

Mein anfängliches Gefühl, am falschen Ort zu sein, hat sich längst gelegt, wenngleich sich die Bedingungen für einen Zeitungsschreiber verschlechtert haben. Mittlerweile hat das Bayerische Fernsehen das Derblecken vollständig gekapert, man hat Mühe, den Kameras auszuweichen, und auch bei Interviews gilt die Devise "Fernsehen first". Immer hoffe ich, dass ein Politiker mal zur Bühne zurückschimpft, so wie das früher passiert ist - aber das wagt keiner mehr. Hier lachen sogar Sozis, wenngleich gequält.

Im Laufe der Jahre habe ich gemerkt, dass die Politiker über andere Pointen lachen als ich selbst, was die Beurteilung von Rede und Singspiel erschwert. Mir ist eine Pointe, die hundsgemein um die Ecke herumkommt, lieber als der derbe Stammtischhumor. Andere Mitglieder der Salvatorgemeinde sehen das umgekehrt, besonders nach der dritten Mass Starkbier.

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Quelle:
SZ vom 24.02.2018
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