Süddeutsche Zeitung

SZ-Werkstatt:Als Piefke in Wien

Cathrin Kahlweit, Korrespondentin für Österreich, Ukraine, Ungarn, Slowakei und Slowenien, war jüngst zu Gast in einer Talkshow. Sie war für ihre Verhältnisse zurückhaltend. Einem ihrer Mitdiskutanten ging das jedoch zu weit.

Von Cathrin Kahlweit

Vor einer Weile saß ich mit einem österreichischen Politiker in einer österreichischen Talkshow - ich werde gelegentlich als "Stimme von außen" eingeladen, die kritisch analysieren soll, wie Deutsche und andere Ausländer die Interna österreichischer Politik beurteilen. Zu kritisch darf das allerdings nicht ausfallen: Offene Konfrontation gilt in diesem Land als Verstoß gegen ungeschriebene Benimmregeln. Ich war also in der Gesprächsrunde für meine Verhältnisse zurückhaltend, der Politiker sagte gleichwohl nach der Sendung voller Empörung: "Sie sind genau der besserwisserische, rechthaberische Typus von Deutschen, die wir hier nicht mögen."

Diese Antistimmung hat in den vergangenen Monaten eher noch zugenommen. Wo früher Deutschland, zumindest ökonomisch, bisweilen aber auch demokratiepolitisch, als Vorbild galt, hat sich im Verlauf der Flüchtlingskrise ein anderes Selbstbewusstsein herausgebildet. Der Kurs der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, der anfangs gefeiert wurde und eine anhaltende, überwältigende, anrührende Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung auslöste, gilt politisch hier im Nachbarland mittlerweile als großer, schwer heilbarer Fehler.

Das führt dazu, dass man als Korrespondentin bisweilen für die Kanzlerin mit haftbar gemacht wird oder ihr Handeln erklären soll, was bekanntlich auch jenen nicht leichtfällt, die näher an ihr dran sind als ein weiblicher Piefke aus dem achten Wiener Bezirk. Die inländischen Kollegen verzweifeln aber beruhigenderweise auch an der Hermetik des Wiener Regierungshandelns: Was genau Österreichs Kanzler Werner Faymann denkt, bleibt auch Nicht-Piefkes verschlossen. Paradoxerweise liebe ich genau deshalb dieses Land: Es ist und bleibt mir ein Rätsel.

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Quelle:
SZ vom 02.04.2016
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