Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor:Von Koi und Karpfen

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Ein Leser empört sich über die Verwendung des Wortes "Glasvitrine", das sei ein sogenannter weißer Schimmel. Schließlich komme "Vitrine" vom lateinischen "vitrum = Glas". Solche "Schimmel" gibt es im Deutschen viele.

Von Hermann Unterstöger

WEIL SIE ALS KINDER Sanella-Bilder sammelten, wissen viele der heute Siebzigjährigen, dass es in Afrika ein scheues Tier namens Okapi gibt. Dafür wissen sie, wie Leser R., oft nicht, was opak bedeutet, obwohl dieses ebenfalls sehr scheue Adjektiv in Sprachphilosophie, Logik und Semantik eine große Rolle spielt - hätte man Gottlob Frege gelesen, wüsste man, wie das zu verstehen ist. Im praktischen Leben steht opak für nicht durchsichtig oder lichtundurchlässig, doch sei davor gewarnt, im Urlaub am Kiosk einen "opaken Sonnenhut" zu verlangen: könnte als oval missverstanden werden.

ALLES ANDERE ALS OPAK sind Vitrinen, die deshalb Vitrinen heißen, weil sie ganz oder zum Teil aus Glas (lat. vitrum) gefertigt sind. Leser Dr. E. findet es lächerlich, dass trotzdem immer wieder von Glasvitrinen die Rede ist, so, als gäbe es auch Holz- oder Metallvitrinen. Die Fehlleistung kommt daher, dass der lateinische Ursprung nicht jedermann geläufig ist. Stilistisch gehört die Glasvitrine zu den Pleonasmen der Sorte La-Ola-Welle und Koi-Karpfen. Das sind weiße Schimmel, weil spanisch ola und japanisch koi schon Welle und Karpfen bedeuten.

FREMDSPRACHEN mit Eleganz zu verwenden ziert jeden Menschen. Umso betrübter war Leserin Sch., als sie bei uns erfuhr, dass in Bologna "die Motorinis" übers Pflaster knattern. Hier gibt es nicht viel zu diskutieren: Der Plural von motorino (Moped, Mofa) lautet motorini, das deutsche Plural-s tut fast so weh wie der Lärm der Knattermaschinen. Anders verhält es sich mit den von Frau Sch. gerügten cappuccinos. Der korrekte Plural lautet cappuccini, doch liegen uns der Cappuccino und der Espresso mittlerweile so nah, dass wir sie im Plural wie deutsche Wörter behandeln dürfen: Cappuccinos, Espressos. Man fährt am besten, wenn man den Pluralformen ausweicht und "Zwei Cappuccino/Espresso" bestellt. Der Italiener ordert schließlich auch nicht "Due caffès", sondern "Due caffè".

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Quelle:
SZ vom 16.07.2016
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