Süddeutsche Zeitung

Sprachlabor:Päpstlicher als der Papst

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Was sind vergleichsunfähige Adjektive? Und unter welchen Umständen darf man sie dennoch steigern? Hermann Unterstöger klärt auf.

PÜNKTLICHKEIT, sagt man, ist die Höflichkeit der Könige. Natürlich wäre auch die Bahn gern König und unternimmt immer wieder einschlägige Versuche. Als Bahn-Chef Rüdiger Grube kürzlich verkündete, dass man, um die Züge pünktlicher zu machen, deren Türen früher schließen lasse, wurde das in der Presse nicht ohne Sympathie weiterverbreitet. Einigen Lesern missfiel das indessen sehr, weil sie der Ansicht sind, dass man nur pünktlich sein könne, nicht aber pünktlicher oder gar pünktlichst. Streng genommen stimmt das, doch leistet sich die Sprache auch auf dem Feld der "vergleichsunfähigen Adjektive" einige Freiheiten. Sinnvollerweise kann man ein Adjektiv nur steigern, wenn seine Bedeutung Abstufungen zulässt: gut, besser, am besten. Bei viereckig, viereckiger, am viereckigsten geht das nicht, aber wenn solche Adjektive im übertragenen Sinn verwendet werden, tut sich die Tür wieder auf: das lebendigste Kind, päpstlicher als der Papst. Was pünktlich angeht, so heißt es in Goethes "Werther", der Gesandte sei "der pünktlichste Narr, den es nur geben kann". Der Mann hätte bei der Deutschen Bahn reüssieren können.

DAS ENGLISCHE ADJEKTIV "POSH" hat eine so lange wie verwirrende Wort- und Bedeutungsgeschichte, doch kann uns die heute gestohlen bleiben. Drängender ist die Frage, was geschieht, wenn posh (umgangssprachlich für nobel, vornehm) als Anglizismus bei uns einwandert und sich den deutschen Rechtschreibregeln anbequemen müsste. Unlängst war im Streiflicht gleich zweimal von "poshen Leuten" die Rede, dummerweise so, dass poshen jeweils am Zeilenende stand: "poshen". Der Autor hatte sich für posh entschieden, da der Kontext die Ausleihe wo nicht forderte, so doch als Stilmittel erlaubte. Andererseits ist posh noch meilenweit davon entfernt, als posch eingebürgert zu werden, mit dem Recht, die so bezeichneten Leute am Zeilenende in "posche Leute" zu trennen. Bis dahin ist darauf zu achten, dass posh in der Zeilenmitte bleibt.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2016
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