Süddeutsche Zeitung

Rassismus:Zeit für eine Bürgerbewegung

Lesezeit: 4 min

Die Demonstratinswelle, die der Tod George Floyds ausgelöst hat, sollte Auftakt sein für eine breite Debatte zur Bekämpfung von Diskriminierung, finden einige SZ-Leser. Einer zieht den Vergleich mit der Friedensbewegung der 80er Jahre.

Zu " Streichen, bitte" und " Wahn und Werte", beide vom 13./14. Juni sowie zu ", Rasse' muss raus" vom 12. Juni, zu " Schwarzsein bedeutet für mich..." und zu " Das volle Herz", jeweils vom 8. Juni:

Debatte dringend nötig

Nun ist die Diskussion über Rassismus in der Polizei nicht nur in den USA, sondern auch bei uns sehr präsent. Und darüber bin ich sehr erfreut und hoffe, dass es endlich nicht nur bei der Polizei, sondern auch zu einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs führen wird. Wir brauchen diese Debatte, denn teilweise sind die rassistischen Vorurteile sehr tief in unser gesellschaftliches Leben eingedrungen, ohne dass sich viele Menschen über ihre verbale Ausdrucksweise oder ihr Verhalten ernsthaft Gedanken machen. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht nur bei politischen Lippenbekenntnissen bleibt und sich für die Zukunft wirklich etwas ändert in Deutschland, Europa und anderswo!

Thomas Henschke, Berlin

Wichtig wie die Demos der 80er

Weltumspannend demonstrierten Hunderttausende gegen Rassismus und brachten damit ihre an den Menschenrechten orientierte Gesinnung zum Ausdruck. Sie standen auf gegen die verletzte Würde von George Floyd und den Mord an ihm. Schuldig daran sind Politiker wie Donald Trump und andere gewissenlose "Verantwortungsträger".

Der zunehmende Rassismus, ob in den USA, der Bundesrepublik oder in vielen anderen Staaten, fordert zum Widerspruch heraus. Es ist so, dass eine Änderung dieser Situation davon abhängt, ob sich diesmal eine dauerhafte Bewegung entwickelt, die nach Möglichkeit weltumspannend die widerliche Fratze des Rassismus bekämpft. Zu Beginn der Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts entstanden die neuen sozialen Bewegungen wie die Bewegung gegen die Nato-Nachrüstung, ein neuer Schwung in der Frauenbewegung und die Anti-Atomkraft-Bewegung. Genauso eine Bewegung brauchen wir heute wieder. Wir brauchen ein Durchdringen der Gesellschaft gegen Gewalt, gerade auch Polizeigewalt, für die Gültigkeit der 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Deklaration der Menschenrechte.

Es ist unerträglich, dass heute noch immer Menschen wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert werden und die Tatsache, dass sie Schwarze sind, mit dem Leben bezahlen müssen. 1963 hatte Martin Luther King mit seiner "I have a dream"-Rede die USA und die Welt aufgerüttelt. Doch seitdem hat sich trotz der Präsidentschaft Barack Obamas rund um den Erdball offensichtlich nur wenig geändert.

Wir brauchen eine Bürgerrechtsbewegung auch bei uns in Deutschland, die himmelschreiende Ungerechtigkeiten der rassistischen Ideologie anprangert und die Kraft dazu besitzt, Antirassismus in Politik umzusetzen. Wir alle sind aufgefordert, aufzustehen und für Demokratie zu kämpfen schon überall dort, wo sich Rassismus im Ansatz zeigt.

Manfred Kirsch, Neuwied

Grundgesetz gilt für jede Religion

Grundsätzlich stimme ich der Meinung Herrn Prantls in "Streichen, bitte" zu, aber es reicht mir nicht, die Wendung "wegen seiner Rasse ... benachteiligt" durch "aus rassistischen Beweggründen ... benachteiligt" zu ersetzen. Hierbei wird nicht mehr ein andersdenkender Mensch geschützt, sondern nur die Tat eines anderen gegenüber ersterem missbilligt. Das ändert nicht viel. Oft werden nach meiner Beobachtung kulturelle Vorbehalte, etwa in Talkshows, als Rassenhass mehr oder minder bewusst missverstanden und so bei der Auseinandersetzung herabgemindert. Das ist unfair. Dabei hat unser ehemaliger Bundespräsident Gauck in seinem Buch über "Toleranz" geschrieben, dass jede Toleranz auch ihre Grenzen hat, ab denen dann Intoleranz geboten ist. Oder soll man gegenüber fremden gesellschaftlichen Regeln, die dem Grundgesetz widersprechen, immer tolerant oder gleichgültig sein?

Dabei wird im Namen von "Religionsfreiheit" auch oft Toleranz eingeklagt, wo das notwendigerweise einheitliche Recht und Gesetz einer Gesellschaft gefährdet ist. Ich würde deshalb lieber den Begriff "Rasse" vollkommen streichen und dafür einen Nachsatz zum Passus vom unterschiedlichen Glauben und unterschiedlichen Anschauungen, sprich unterschiedlicher Kultur, hinzufügen: "... sofern dessen Taten diesem Grundgesetz nicht widersprechen".

Johann Wagner, München

Kein Grund ist akzeptabel

Ich finde die Formulierung "Niemand darf aus rassistischen Gründen benachteiligt werden" gut. Noch besser wäre der Satz: "Niemand darf aus irgendwelchen Gründen benachteiligt werden". Denn es bleibt doch die Frage, gibt es legitime Gründe der Benachteiligung. Oder noch schärfer gefragt: Gibt es gute Gründe für eine Benachteiligung?

Michael Szelinski, Brügge

Begriffsänderung bringt nichts

Der Duden definiert Rasse als "Gesamtheit der auf eine Zucht zurückgehenden Tiere, seltener auch Pflanzen einer Art, die sich durch bestimmte Merkmale von den übrigen derselben Art unterscheiden". Da sich die Menschheit nicht durch gezielte Zucht in unterschiedliche Ausprägungen derselben Arten aufgeteilt hat, ist der Begriff "Rasse" laut Duden auf den Menschen nicht anwendbar. Vielmehr solle von "Volksgruppen" oder "Ethnien" gesprochen werden. Doch genau wie der Begriff "Rasse" sind diese beiden bereits belastete, weil mit Rassismus assoziierte Begriffe und damit als Ersatz für "Rasse" ungeeignet. Artikel 3 Grundgesetz führt neben dem untauglichen Begriff "Rasse" weitere wie "Abstammung", "Herkunft" und "Heimat" auf, die ganz gewiss ihre Berechtigung haben, weil sie auch auf nicht offensichtliche Unterscheidungsmerkmale abstellen. Den Hauptanlass für den täglichen Rassismus in unserem Land und auf der Welt benennt Artikel 3 jedoch nicht: "Aussehen". Dieser Begriff sollte an die Stelle des Begriffs "Rasse" treten. Wir alle sollten uns aber bewusst sein, dass die Streichung des Wortstammes "Rasse" aus dem GG nicht das Phänomen des Rassismus als solches beseitigt. Hierauf sollten wir unsere Aufmerksamkeit vordringlich konzentrieren.

Roland Denkler, Nettersheim

Stärken anderer schätzen lernen

Es fällt uns Menschen heute schwer, den anderen in seinem Anderssein wertzuschätzen. Ablehnung ist letztlich immer mit einem eigenen Minderwertigkeitsgefühl verbunden, wodurch man sich vom Fremden bedroht fühlt. Hier sei erwähnt, dass der große Visionär Martin Luther King, der sein Leben für den Kampf gegen Rassismus eingesetzt hat, sich in seinem letzten Buch mit dem Titel "Where Do We Go from Here" für ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgesprochen hat.

Erst wenn wir alle mit dieser Freiheitsdividende in unseren individuellen Fähigkeiten bestärkt werden, können wir die Angst verlieren, dass Andersartige uns etwas wegnehmen können - und verstehen: "Mensch ist Mensch und die Hautfarbe, die Nationalität, die Sprache, all das sollte egal sein." Wir können dann lernen, dass man "die Dinge, die uns voneinander unterscheiden, dazu nutzen kann, uns zu vereinen", das heißt, die Stärken der anderen als Bereicherung zu erleben.

Gabriele von Moers, München

Klischees verleiten uns

Es gibt keine Menschenrassen, und daher gehört der Begriff der Rasse auch nicht ins Grundgesetz. So weit, so gut, doch wodurch können wir ihn ersetzen? Warum macht es überhaupt einen Unterschied, ein blonder Kowalski zu sein, dessen Vorfahr vor hundert Jahren aus Polen, oder ein schwarzer Smith, dessen Vorfahr vor 400 Jahren aus Guinea kam? Warum hat ein Nachfahr der Hugenotten in der Regel keine Probleme, eine Wohnung zu finden, einer von Türken hingegen schon? Warum ermordete der NSU Theodoros Boulgarides? Weil er aussah wie ein Türke! Den Namen kann man wechseln, aus Šahnowr Aznavowryan wird Charles Aznavour, aus Robert Zimmerman wird Bob Dylan. Das Aussehen hingegen kann niemand wechseln.

"Rasse" meinte nie etwas anderes als die Klassifikation von Menschengruppen anhand von Klischees ihrer Gesichtszüge, speziell der Hautfarbe. Daher sollte im Grundgesetz stehen: Niemand darf aufgrund seines Aussehens diskriminiert werden!

Raimund Poppinga, Hannover

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Quelle:
SZ vom 23.06.2020
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