Süddeutsche Zeitung

Promi-Interview:Wenn Rod Stewart schlecht gelaunt ist

Lesezeit: 6 min

Beide wollen etwas voneinander, aber nicht unbedingt dasselbe: Über die Kunst des Promi-Interviews - und die absurden Situationen, zu denen es führen kann.

Von David Pfeifer

Das Promi-Interview ist eine der seltsamsten journalistischen Formen, weil beide Parteien etwas voneinander wollen, aber nicht unbedingt dasselbe. Meist will der Promi etwas verkaufen und der Journalist etwas erfahren. Es ist obendrein mit viel Aufregung und wenig Freiheiten verbunden und soll sich am Ende doch so lesen, als sei es ein lockeres Gespräch in freundlicher Atmosphäre gewesen.

Das schlimmste Interview mit einem Prominenten habe ich mit Mark Wahlberg geführt. Wahlberg war, wie viele berühmte Menschen, viel kleiner als auf der Leinwand - er war aber leider auch sehr viel müder und schlechter gelaunt, als ich erwartet hatte. Er hatte Jetlag und musste in der Nacht zuvor unbedingt das "Super-Bowl-Finale" sehen, dafür hat er sich zwischen zwei Mal Gähnen sogar entschuldigt. Vernünftige Antworten konnte er trotzdem keine geben. Vielleicht, weil er spürbar keine Lust auf den Pressetag hatte, der aber nun mal zur Arbeit der Schauspieler dazugehört, wenn sie Millionen für ihren Auftritt in einem Film bekommen.

Nach sieben Minuten habe ich das Interview abgebrochen und mich bei den Leuten von der Film-Promotion-Firma entschuldigt, dass ich den sogenannten Slot genutzt hatte, aber nichts Brauchbares dabei herauskommen würde. Das war gleichzeitig die freundliche Version einer Beschwerde, denn immerhin war ich extra nach Berlin gefahren, hatte mir sieben Wahlberg-Filme hintereinander angesehen (von denen nicht jeder gut war) und einen Stapel Interviews und Porträts aus US-Magazinen über ihn gelesen. Man will die Gesprächspartner ja nicht langweilen.

Man investiert also vor allem viel Zeit im Vorfeld, um in der kurzen Begegnung mit dem Star keine Fragen zu fragen, die sie oder er an diesem Tag schon 20 Mal beantwortet hat. Und sie oder ihn im besten Fall ein kleines bisschen aus der Reserve zu locken. Oscar-Preisträger Adrien Brody beispielsweise begeistert sich für Autorennen, wie ich in einem kleinen Racer-Magazin gelesen hatte, und wurde als Kind in New York gehänselt, als der erste "Rocky"-Teil herauskam - wegen seines Vornamens, den auch eine Filmfigur trägt.

Der Nervenkitzel verstärkt sich naturgemäß mit dem Materialeinsatz. So durfte ich 2018 Schauspielerin Emily Blunt zum Interview treffen, wieder für die große Seite im Gesellschaftsteil, diesmal aber in New York - für die SZ eine durchaus kostspielige Reise. Die Promoterin wollte, dass viele Fragen zum Film gestellt werden - der aber noch gar nicht fertig war, von dem man also nur Ausschnitte sehen konnte. Die Agentin wiederum wollte den Slot kürzen, weil sie in Verzug geraten waren und Mrs. Blunt noch Anschlusstermine hatte. An so einem "Press Day" sind Dutzende von Journalisten geladen, die hintereinander drankommen und alle gerne ihre Zeit überziehen, wenn man sie denn lässt. Also muss man freundlich darauf bestehen, dass 30 Minuten das Minimum seien, zumal man ja aus Deutschland angereist sei. Man darf aber auch nicht gleich einschnappen - ohne Interview will man auch nicht zurückkommen, wenn man schon so viel Zeit, Energie und Geld investiert hat.

Emily Blunt war sehr reizend, lachte viel, errötete schnell, wenn man ihr ein Kompliment machte, und konnte sich an den Dreh des Films, über den wir sprechen sollten, kaum noch erinnern, weil die Dreharbeiten schon so lange her waren. Und so sprachen wir viel über die Arbeit mit ihrem Mann John Krasinski, mit dem sie gerade einen viel kleineren Film gedreht hatte, seine erste Regie-Arbeit.

Direkt nach so einem Gespräch weiß ich nie, ob es was geworden ist, weil ich derartig angespannt bin, auf keinen Fall etwas verpassen will, dass ich mich an die Inhalte kaum erinnern kann. Ich gehe aufgekratzt aus dem Gespräch, bin meistens überzeugt, dass es eher nichts geworden ist, kann kaum schlafen, bis das Adrenalin abebbt, dann werde ich hundemüde. Erst wenn ich am nächsten Tag anfange, die Aufnahme abzuhören und das Gespräch aufzuschreiben, merke ich, ob etwas Lesenswertes dabei herauskommt.

Das Abhören und Ausarbeiten des Gespräches ist sowieso noch mal eine eigene Disziplin. Einerseits ist man dem Gesagten verpflichtet, nicht erst seit dem Fall Claas Relotius und anderen gefakten oder halb erfundenen Interviews. Andererseits muss man, gerade bei Interviews in einer anderen Sprache, in doppelter Hinsicht als Übersetzer wirken. Zunächst einmal tatsächlich vom Englischen ins Deutsche, doch daneben gilt es auch, den Gesichtsausdruck, die Stimmlage, die Körpersprache mit einzubeziehen, um Feinheiten einzuarbeiten. Wenn Emily Blunt nach einem Kompliment ihres Mannes, das ich ihr vorgelesen habe, "Oh, stop it!" sagt, kann das bedeuten: "Hören Sie sofort auf" oder "Nun übertreiben Sie aber mal nicht". Sie hat es mit einem Lächeln gesagt, also bedeutete es wohl am ehesten, "das wird mir jetzt aber bald unangenehm".

Man versucht also, aus dem Gespräch ein Interview zu übersetzen, das nicht nur den Worten gerecht wird, sondern auch dem, was eigentlich gemeint war. Gleichzeitig sollte man so nah am Gesagten bleiben, dass man jederzeit seine Aufnahme abspielen könnte, wenn eine Nachfrage käme. Und sich dann nur für sein schlechtes Englisch entschuldigen müsste, nicht aber für den Inhalt.

Besonders aufgeregt war ich zuletzt bei Rod Stewart, der vor seiner Tournee einen Pressetag in Hamburg absolvierte. Randvoll mit Eindrücken aus seiner Autobiografie, die ich gelesen, und den vielen Alben, die ich heruntergeladen hatte, hörte ich, wie der englische Manager und die deutsche Promotion-Dame sich darüber unterhielten, dass Stewart enorm schlechte Laune habe. Er sei sehr erkältet. Ich wurde schonend darauf vorbereitet, dass der Musiker an diesem Tag eventuell gar kein Interview mehr geben wolle. Dann schmiss er den Interviewer vor mir nach fünf Minuten raus - angeblich habe er blöde Fragen gestellt. Sein Agent überredete ihn, zumindest dem Herrn von der SZ noch eine Chance zu geben. Wirklich, er überredete Rod Stewart, ich wäre eigentlich lieber ein anderes Mal wiedergekommen, aber der Agent führte mich zu Stewarts Suite und sagte, "Nehmen Sie es nicht persönlich, wenn er sie schnell rausschmeißt".

Sir Rod Stewart war wirklich sehr erkältet, er hatte keine Lust, über seine Haare zu sprechen (meine Idee), und nach etwa zehn Minuten sagte er, es tue ihm leid, er fühle sich zu schlecht. Doch dann fragte ich ihn, woher damals im England der Sechzigerjahre seine Begeisterung für schwarze Musik kam und wieso er ausgerechnet ein Album von Otis Redding am meisten liebte, wo er doch eigentlich Rockmusik gemacht hat. Es wurde doch noch ein sehr gutes Gespräch, über Stewarts Anfänge, über die Frage, warum manche Musiker Erfolg haben und andere nicht, und warum er sich mit 73 Jahren noch eine Tournee antut, obwohl er das Geld schon lange nicht mehr braucht. Das Gespräch dauerte deutlich länger als vereinbart.

Manchmal läuft es auch ganz anders. So habe ich vor etwa zweieineinhalb Jahren den zweifachen Box-Weltmeister George Foreman sprechen wollen, der 1968 in Mexiko die olympische Goldmedaille gewonnen hatte. Ich wollte mit ihm über Rassismus sprechen, 50 Jahre nach den Protesten der schwarzen Athleten bei den Olympischen Spielen. Außerdem natürlich über seine Niederlage gegen Muhammad Ali, Foremans märchenhaftes Comeback und seine Zeit als Prediger. Ich schrieb an die Firma, die Foremans Grills herstellt. Und Foreman schrieb zurück, ich solle ihn abends anrufen. Es war der echte George Foreman, kein Agent. Ich rief also abends an, von zu Hause aus, wegen der Zeitverschiebung, er ging ran.

Foreman war verwundert, dass ich ihn gar nicht am Telefon sprechen, sondern ihn tatsächlich in Houston besuchen wollte, wo er heute lebt und ein Gemeindezentrum aufgebaut hat. "Ich bin da jeden Nachmitttag, komm einfach vorbei", sagte George Foreman. Zwei Monate später flog ich nach Houston, schickte George Foreman eine SMS, er antwortete blitzschnell, simste mir die Adresse. Ich fuhr in das Armenviertel, in dem er aufgewachsen war, fand das Gemeindezentrum, das aus drei großen Hallen besteht (einer "Ali"-Halle, einer "Frazier"-Halle und einer "Foreman"-Halle). Ich fragte eine sehr alte schwarze Frau, wo ich George Foreman finden könne. Sie fragte durch vier Zahnlücken zurück: " Welchen George?"

Natürlich wusste ich, dass Foreman alle seine Söhne ebenfalls George genannt hat - ich hatte mich ja vorbereitet. Also sagte ich: "Den zweifachen Box-Weltmeister George Foreman." Die Alte lachte, "Ah, du meinst BIG George! Dann setzt dich hier mal rein und warte".

Also ging ich in die "Foreman"-Halle, in der eine kleine Bibliothek untergebracht ist und ein Box-Studio, weil Foreman der Überzeugung ist, dass nicht nur Boxen, sondern auch Bildung nützlich ist, wenn man aus dem Viertel rauskommen will, aus dem er es einst hinausgeschafft hatte. Nach 20 Minuten kam er durch die Tür, immer noch so groß, dass er den Kopf einziehen muss, überhaupt in bemerkenswerter Verfassung.

George Foreman nahm sich zwei Stunden Zeit für das Gespräch. Zwischendurch kamen Jugendliche zum Training, die ihm die Hand schüttelten, oder Mitarbeiter, die eine Information brauchten. Aber ansonsten war der Mann der freundlichste und beste Erzähler, den ich jemals sprechen durfte. Nur bei einer Frage, nämlich als ich ihn auf den Kampf gegen Muhammad Ali in Zaire ansprach, den Foreman damals verloren hatte und der zur Grundlage des Films "When We Were Kings" wurde, sagte Foreman: "Du willst hoffentlich nicht, dass ich dir ausgerechnet diesen Kampf noch mal Runde für Runde erzähle."

Eine Illusion sollte man sich aber auch nach einem gelungenen Interview keinesfalls machen: Nur weil man sich selbst sehr intensiv mit einem prominenten Menschen auseinandergesetzt hat, bedeutet das nicht, dass der Gesprächspartner ein ebenso einschneidendes Erlebnis hatte. Es gibt ein paar Prominente, die ich häufiger als einmal getroffen habe. Die einzige, die sich noch an mich erinnern konnte, war Anke Engelke. Und von der sagt ihre Agentin, sie könne sich auch noch an den Namen von Kabelträgern erinnern, mit denen sie vor 20 Jahren mal einen Sketch gedreht habe. Es ist im Regelfall eben eine Begegnung zwischen zwei Menschen, die sehr unterschiedliche Absichten verfolgen.

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