Süddeutsche Zeitung

Pränataldiagnostik:Eine Gewissensfrage

Lesezeit: 2 min

Angesichts der zunehmenden Angebote der Pränataldiagnostik wird es immer schwieriger für Eltern, sich für ein behindertes Kind zu entscheiden. Aber was, wenn der Test fehlerhaft ist? Dass das durchaus vorkommen kann, darauf weist eine Leserin hin.

" In der eigenen Hand" vom 15./16. September:

Sehr hohe Fehlerquote

Als psychosoziale Beraterin einer auf das Thema Pränataldiagnostik spezialisierten Fachstelle begrüße ich es sehr, dass die SZ diese Thematik immer wieder aufgreift. Ich bin froh zu erfahren, dass Abgeordnete fast aller Parteien sich für eine Orientierungsdebatte mit anschließender Gewissensfrage einsetzen. Und auch ich bin der Meinung, dass es angesichts der wachsenden Angebote der Pränataldiagnostik für werdende Eltern immer schwieriger wird, ein Kind mit Behinderung willkommen zu heißen.

Eine gravierende Tatsache wird allerdings in Ihrem Artikel - und auch sonst in nahezu allen Veröffentlichungen zum Thema "nichtinvasiver pränataler Bluttest" - außer Acht gelassen bzw. falsch dargestellt: Der Bluttest hat, angewendet als Screening bei allen schwangeren Frauen, keine "geringe Fehlerquote", sondern eine sehr hohe Fehlerquote. Im Moment müssen wir davon ausgehen, dass etwa ein Drittel aller Tests falschpositiv wäre. Wenn also eine Frau vor der zwölften Schwangerschaftswoche und ohne einen Verdacht auf eine mögliche Trisomie diesen Test durchführt und danach ein auffälliges Ergebnis erhält, ist dieses Ergebnis zu rund 30 Prozent falsch. Entscheidet sie sich danach nicht zur genaueren Abklärung durch eine invasive Untersuchungsmethode wie Plazentapunktion oder Fruchtwasseruntersuchung, sondern gleich zum Schwangerschaftsabbruch, würde also dabei in etwa jedem dritten Fall ein Wunschkind ohne Trisomie abgetrieben werden. Kann so etwas politisch gewollt sein?

Eine niedrigere Falschpositivrate, also eine geringe Fehlerquote, leistet dieser Test nur bei einem Hochrisikokollektiv: Das sind Schwangere, die aufgrund ihres Alters oder aufgrund des Befundes eines anderen pränatalen Tests, des sogenannten "Ersttrimesterscreenings", eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit mitbringen, ein Kind mit einer Trisomie zu bekommen. Die im Bereich der Pränataldiagnostik arbeitenden Ärztinnen und Ärzte kommen deshalb klar zu dem Ergebnis, dass es diesen Bluttest ohne eine vorherige Einschätzung durch das Ertsttrimesterscreening bzw. einen Ultraschall keinesfalls als Leistung der gesetzlichen KV geben dürfte. Wahrscheinlichkeitsberechnungen sind ein kompliziertes Terrain, doch sollten sich sowohl Wissenschaftsjournalisten und -journalistinnen als auch politische Entscheidungsträger mit dieser Materie auseinandersetzen, um kompetent informieren und entscheiden zu können.

Dass Wirtschaftsinteressen bei der gesamten Thematik eine tragende Rolle spielen, sollte dabei nicht aus dem Blick geraten: Die Anbieter der nichtinvasiven Pränataltests sind expandierende Unternehmen, die alles daran setzen, ihren Bluttest flächendeckend an die schwangere Frau zu bringen. Solange all diese Tatsachen aus der Diskussion ausgespart werden, ist zu befürchten, dass Frauen und Familien sowie Menschen mit Behinderungen die Verlierer bleiben, während die Testanbieter sich über steigende Gewinne freuen können.

Kirsten Hellwig, München Fachstelle Pränataldiagnostik in der Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e. V. München

Kein Egoismus, sondern Vernunft

Die Süddeutsche Zeitung hat über das Thema Schwangerschaftsabbruch nach der Diagnose Downsyndrom in der Vergangenheit immer wieder berichtet. Die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch wird von Kirchenvertretern regelmäßig mit Egoismus in Verbindung gebracht: "Die Paare stehen unter Druck. Sie haben Angst, dass die berufliche Karriere nicht weitergeht." Diese Bewertung ist in meinen Augen falsch. Die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch nach der Diagnose Downsyndrom ist vernünftig und zeugt vom Verantwortungsbewusstsein der Eltern.

Wenn ein Elternteil nicht mehr arbeiten kann, weil es sich um ein behindertes Kind kümmern muss, kann das die Familie in wirtschaftliche Not bringen. Für die Eltern und für die Geschwister kann ein behindertes Kind eine so hohe Belastung darstellen, dass die Familie daran zerbricht. Auch die Frage, wer sich um das behinderte Kind kümmert, wenn die Eltern nicht mehr leben, ist schwer zu beantworten. Können beziehungsweise dürfen die Eltern diese Aufgabe den gesunden Geschwistern aufbürden?

Katharina Ebrecht, Reutlingen

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4141078
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.09.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.