Süddeutsche Zeitung

Papst Franziskus:Positives Image, aber kaum echte Reformen

Lesezeit: 3 min

Von konservativen Kardinälen gewählt und keines der großen Kirchenthemen angepackt.

Zu "Heiliger Rebell" vom 16./17. Januar:

Lippenbekenntnisse

Ich habe leider von dem bis jetzt "atemberaubenden" Pontifikat des aktuellen Papstes nichts mitbekommen. Es ist erstaunlich, welche Bilanz Heribert Prantl zieht. Päpste sind auch nur Menschen, und jeder hat natürlich seinen eigenen Stil. Franziskus' Bescheidenheit und seine sozialkritischen, gelegentlich auch antikapitalistischen Statements machen noch keinen "Heiligen Rebell" und bleiben als Lippenbekenntnisse sehr vage. Schön wäre es, wenn er die Bergpredigt zur obersten Maxime erklären würde, dann könnte man hoffen.

Es ist ein bisschen naiv zu glauben, dass ein Papst, der von ausschließlich konservativen Kardinälen gewählt wurde, die große Veränderung im Sinne hat. Das zeigen eben die vergangenen Jahre. Es ist zu einfach, es sich so zurechtzulegen - auf der einen Seite der gute Papst, der gerne was bewegen möchte, und auf der anderen Seite der böse Vatikan oder die Kurie, die ihn ausbremsen. Prantl meint, "bei innerkirchlichen Reformen fehlt ihm die Verve". Wieso eigentlich, das ist doch sein Kerngeschäft, und ich erwarte, dass er sich da engagiert.

Es ist nicht bekannt, ob er hinsichtlich des synodalen Weges in Deutschland begeistert ist. Solange die Hierarchie in der katholischen Kirche erhalten bleibt - mit anderen Worten: jeder, der geweiht ist, größere Bedeutung hat als der Laie in der Gemeinde -, wird sich nichts ändern. Dort muss Papst Franziskus den Hebel ansetzen, wenn er als "Heiliger Rebell" in die Geschichte eingehen will.

Dr. Irmgard Eberhard, Penzberg

Tragischer Rebell

Ich vermute, ich müsste Katholik sein, um Prantls Bilanz von Papst Franziskus nachvollziehen zu können. Das scheitert nicht am Begriff "heilig", da es für mich keine Heiligen gibt, schon gar nicht für einen, der in einer Wahl, die geheim und von der nichts nach außen dringen darf, von "Unheiligen" zum "Chef" der gesamten katholischen Christenheit gewählt wurde.

Was hat denn dieser Papst außer den von Prantl zitierten eher äußerlichen Dingen verändert? Hat er irgendeine Diskussion zu den auch in der Kirche umstrittenen Dogmen (Zölibat, Frauenrechte, et cetera) zugelassen oder gefördert? Hat er, obwohl er die Kompetenz hätte, die Bischöfe unmissverständlich angewiesen, die Missbrauchsskandale endlich und gründlich aufzuarbeiten? Oder ist die Macht des "Unfehlbaren" (dieses Dogma wäre das erste, das ein Reformpapst aus der Welt schaffen müsste) doch nicht so groß? Die Seilschaften im Vatikan scheinen so gut zu funktionieren, dass Franziskus, selbst wenn er wollte, gar nicht dagegen ankäme. Wenn es stimmt, was Prantl suggeriert, dass Franziskus seine Kirche wirklich ändern wollte, dann wäre er kein "heiliger", sondern eher ein "tragischer" Rebell. Dann erginge es ihm wie Mister Obama, der unverdient mit dem Friedensnobelpreis gestartet ist und die wichtigsten Ziele nicht erreicht hatte. Und als "Antwort" der Gesellschaft kam Trump.

Da der nächste Papst wieder in dieser verschwörerisch anmutenden Runde gewählt werden wird, von Leuten, denen das einfache Katholikenleben ziemlich egal ist, könnte sich wieder ein Mann durchsetzen, dem diese "Reformen" des Franziskus immer noch zu weit gegangen sind und der das bisschen "Lockerung" gleich wieder zurücknimmt. Verwundern würde mich das nicht.

Thomas Spiewok, Hanau

Weltverbesserer

Acht Jahre ist der Papst bald im Amt; Franziskus hebt sich von seinem Vorgänger stark ab. Heribert Prantl porträtiert Franziskus in all seinen Facetten, als Mensch, Theologe und Kirchenlenker. Ja, Atemberaubendes hat er an sich. Er hat vieles angestoßen, was hoffentlich zur Vollendung kommt. Manchmal würde man sich ein Machtwort wünschen, vielleicht sogar, dass er ex cathedra spricht, was heißt, dass er sich in Glaubens- und Sittenfragen auf seine päpstliche Unfehlbarkeit beruft und dann seine Entscheidung zementiert und für unverrückbar erklärt. Das könnte, wie Prantl sagt, gerade in der heutigen Zeit auch Ohnmacht bedeuten. Franziskus hört zu, überlegt, bietet Lösungen an und vertraut darauf, dass er die Betonköpfe nicht nur im Vatikan (seine erklärten Gegner schwirren auch in Bayern herum) vielleicht doch noch auf den richtigen Weg bringt. Prantl hat das weite Feld der Probleme, die natürlich auch große Chancen für die Kirche bieten, umrissen. Solange dieser Papst wirkt, kann man sich an ihm orientieren, da für ihn einzig und allein das Evangelium und nicht der Machterhalt der Kirche Maßstab seines Handelns ist. Zwei "Edelsteine" prägen sein Pontifikat: Liebe und Barmherzigkeit, dies ist der Boden für sein Wirken. Seine Gedanken hierzu und die Einladung zu deren Verwirklichung sind ein Appell an alle Menschen, die guten Willens sind. So wird sich die Welt bessern.

Dr. Christoph Lickleder, Kelheim

Kernfragen ausgewichen

Ich möchte widersprechen, was die Einschätzung von Heribert Prantl bezüglich des Wirkens von Papst Franziskus belangt. Für mich ist es eher wie das Streichen der Wände eines Hauses, denn die Möbel, die Bewohner und deren Verhalten bleiben gleich. Er macht keine wirkliche "Tempelreinigung". Die schönen Worte (Enzykliken) hören sich gut an, werden aber nicht auf das Verhalten der Kirche selbst bezogen. Wo bleibt die Ordination von Frauen? Die Heirat von Priestern und Mönchen? Wie steht es bei sexuellen Übergriffen um die Aufklärung durch den Papst und die Weitergabe der Unterlagen an die Staatsanwaltschaften zur Verfolgung derselben? Wieso klappt es nicht mit den Untersuchungen dieser Untaten durch unabhängige Sachverständige? Warum dürfen kirchliche Einrichtungen immer noch von Beschäftigten die katholische Konfessionszugehörigkeit fordern, obwohl sie zu über 90 Prozent staatlich finanziert sind? Warum gibt es ein separates Kirchenrecht? Wieso müssen Kardinäle so viel Geld verdienen? Papst Franziskus verkauft alten Wein in neuen Schläuchen, mehr hat er bisher nicht bewirkt.

Michael Beck, Wolfenbüttel

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SZ vom 04.02.2021
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