Süddeutsche Zeitung

Österreich-Kolumne:Gefühl der Freiheit

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Bei einer Radtour über die Alpen genießt unser Autor nicht nur die Reize der Landschaft - sondern entwickelt dabei auch Verständnis für Heinz-Christian Strache.

Von Dominik Prantl

Neulich habe ich etwas völlig Verrücktes getan. Ich habe eine Zeit lang keine sozialen Netzwerke besucht, denen ich ohnehin eher aus voyeuristischen Motiven beigetreten bin, und auch keine Zeitung mehr gelesen. Das ist natürlich eine kleine Sünde, weil ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass du jeden Tag mindestens einmal deine Süddeutsche Zeitung genießen solltest, vor allem die Österreich-Geschichten wie jene des Kollegen Johann Osel über bayerische Feiertouristen.

Aber so habe ich mich mal eine Woche nicht über die selbstgefällige Politikerelite in Wien ärgern müssen. Stattdessen saß ich auf dem Mountainbike und bin mit ein paar Freunden ein paar Tausend Höhenmeter über die Alpen geradelt, durch Tirol nach Italien, hinunter an den Gardasee. Um es kurz zu machen: Es war ein Traum. Lesen Sie hier mehr darüber.

Nein, Österreich hat Corona genauso wenig abstellen können, wie es die Nachbarn im Süden und Norden konnten. Und es bleibt abzuwarten, was genau Delta, das heute nicht mehr für eine Airline oder ein mathematisches Symbol, sondern für eine Virusvariante steht, noch so nach sich ziehen wird. Dennoch vermittelte es ein fast schon verloren geglaubtes Gefühl der Freiheit, als guter 3-G-Bürger - also getestet, genesen oder geimpft - einfach in ein Tiroler Hotel einchecken oder am Nachmittag in einer Trentiner Bar einen Aperol Spritz trinken zu dürfen (In Italien schien sich ohnehin niemand für 3G zu interessieren).

Noch dazu konnte ich mich der Tatsache versichern, dass dieses Gebirge vor der Haustüre und inmitten Europas das überhaupt schönste und vielseitigste des Erdballs ist. Wo sonst radelt man innerhalb weniger Tage über etliche hohe Pässe und durch mehrere Kultur- und Sprachräume, von Geologie und Vegetation ganz zu schweigen?

Vor allem habe ich anschließend wieder so klar gesehen, dass ich nun sogar Heinz-Christian Strache verstehe. Denn sein Verhalten der vergangenen Jahre ist definitiv nur ein einziger Schrei nach Liebe gewesen. "Freundschaft habe ich mir erwartet, nix anderes", gab er im Korruptionsprozess als Angeklagter laut Medienberichten zu Protokoll.

Womöglich sollte der ehemalige Vizekanzler einfach mal mit ein paar echten Freunden über die Alpen radeln und am besten gleich den Kurz und den Blümel und die Köstinger mitnehmen. Das wäre vielleicht mal ein wirklich schöner Trip.

Diese Kolumne erscheint am 9. Juli 2021 auch im Österreich-Newsletter , der die Berichterstattung zu Österreich in der SZ bündelt. Hier gleich kostenlos anmelden .

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