Süddeutsche Zeitung

Jurastudium:Wider die elitäre Blase

Lesezeit: 3 min

Welche Studierenden wollen Juristinnen und Juristen werden - und was wird ihnen an der Uni beigebracht?

"Raus aus der Kaste" vom 13. Juli:

In der Praxis

Als Prüferin in der ersten und zweiten juristischen Staatsprüfung und Referendarausbilderin in Baden-Württemberg muss ich Annette Ramelsbergers Einschätzung zum Jurastudium in vielen Punkten widersprechen. Die Beobachtung, dass sich Juristinnen und Juristen in Verwaltung und Justiz gerne als elitäre Blase sehen und es gerade im Staatsdienst vielfach an Diversität mangelt, ist nicht falsch. Daran ist aber nicht das angeblich so harte Studium schuld, sondern die mangelnde Bereitschaft der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, auch Absolventinnen und Absolventen anderer Fächer, etwa der Sozialwissenschaften, einzustellen, wie das etwa in Frankreich üblich ist.

Dass das Jurastudium am Ende "seelische Wracks" hinterlasse, ist komplett überzogen. Mit meiner Erfahrung als Prüferin deckt sich das nicht. Anders als in den Naturwissenschaften lässt es viel Zeit, sich mit Sprachen, Zusatzqualifikationen oder Auslandsaufenthalten zu beschäftigen. Solche Erfahrungen dem Studienerfolg zu "opfern", wie im Artikel behauptet, liegt sicher nicht an den Anforderungen des universitären Studiums. Problematisch ist die Examensvorbereitung ohne ernsthafte Hürden zuvor, in der nicht wenige Studierende erstmals auf Motivationsprobleme stoßen. Lange wurden sie von den Universitäten nicht ausreichend unterstützt. In anderen Fächern erfolgt die Selektion früher. Im Vergleich zu ähnlich anspruchsvollen Studiengängen in Naturwissenschaften oder Medizin, in denen ein hohes Maß an Qualifikation erwartet wird, handelt es sich bei den juristischen Staatsexamina sicher nicht um eine Horroranforderung, zumal die Referendarinnen und Referendare während der Vorbereitung auf die zweite Staatsprüfung zwei Jahre lang eine existenzsichernde Bezahlung erhalten.

Auch wenn sich über den Umfang des Lernstoffs im zweiten Staatsexamen streiten lässt - nicht jedes juristische Berufsbild erfordert das Lösen eines Falles im Wasserrecht -, hat die vertiefte Ausbildung zum Volljurist oder zur Volljuristin enorme Vorteile, die man nicht vorschnell opfern sollte. Schon lange bevor der pädagogische Kampfbegriff der "Kompetenzorientierung" in den Schulbetrieb Eingang fand, sind Juristinnen und Juristen in Deutschland mit dem Einüben von Falllösungen nach diesem Prinzip ausgebildet worden und profitieren davon bei beruflichen Wechseln enorm. In einem dreijährigen Bachelor ist eine solche Qualifikation, die neben breiten Rechtskenntnissen viel Erfahrung in der Fallbearbeitung und Grundlagen in Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie und Wirtschaft ermöglichen soll, nicht zu schaffen.

Wenn wir von Ärztinnen und Ärzten aus guten Gründen ein mehrjähriges Studium mit intensiver Ausbildungszeit erwarten, bevor wir uns in ihre Behandlung begeben, sollten wir ähnliche Anforderungen an künftige Juristinnen und Juristen stellen, die Haftstrafen verhängen, millionenschwere Grundstücksgeschäfte beurkunden oder in der Verwaltung weitreichende Entscheidungen für andere treffen.

Franziska Scheuble, Freiburg, Oberstaatsanwältin

Auch so erlebt

Was für ein großartiger Kommentar! Jeder Satz ist zu unterstreichen. Was Annette Ramelsberger da feststellt, galt schon zu meiner Studienzeit. Spaß am Studium hatte ich nie und als Tochter eines Landwirtes war ich damals an der Bonner Uni ein Underdog. Gleiches erlebte kürzlich mein Praktikant, Sohn türkischer Eltern, der fast Unmenschliches leistete für sein Examen. Und den "Fachidioten" fehlt in der Regel jedes Gespür für das Menschliche des Menschen.

Dorothee Bölke, Hamburg, Rechtsanwältin

Drei Versuche möglich

Der Autorin ist möglicherweise entgangen, dass der seit vielen Jahren erfolgreich eingeführte "Freiversuch" bedeutet, dass jeder und jede Studierende insgesamt drei und nicht nur zwei Versuche hat. Ebenso ist ihr offensichtlich nicht bekannt, dass mittlerweile alle juristischen Fakultäten Examensrepetitorien veranstalten, die, wie auch an den Examensergebnissen feststellbar ist, zumindest ebenso gut wie der private Repetitor aufs Examen vorbereiten, sodass keine Notwendigkeit besteht, mit mehreren Tausend Euro Schulden für den Repetitor das Studium abzuschließen.

Studierende, die sich über sechs Jahre mit voller Kraft dem Studium widmen, sind mir eher selten begegnet - andererseits in langjähriger Lehrtätigkeit in Leipzig exzellente Nachwuchsjuristen und -juristinnen, die nicht aus Juristenfamilien stammten (woher auch in den neuen Ländern) und keinesfalls der von der Autorin beschriebenen "Kaste" angehörten - und die im übrigen von den Möglichkeiten, die Erasmus oder der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) bieten, Gebrauch machten.

Dr. Christoph Degenhart, Nürnberg, em. o. Prof. für Staats-und Verwaltungsrecht, Universität Leipzig

Woran es mangelt

Dass es bei der Juristenausbildung immer wieder Veränderungen braucht, um die Studierenden an die sich verändernden Rechtsvorschriften und damit einhergehenden Herausforderungen in der Arbeitswelt heranzuführen, ist unbestritten. Aber sie darauf zu reduzieren, dass sich die Studierenden nur stur auf die Examina vorbereiten und zu Fachidioten herangezüchtet werden, entspricht nicht der Realität. Woran die Ausbildung leidet, ist, dass zu viel Einzelwissen vermittelt und zu wenig Wert auf Rechtssystematik und historische Einordnung der Rechtsgebiete gelegt wird. Auch bei der Heranführung der Studierenden an die Anwendung des theoretischen Wissens ist ein enormes Defizit im universitären Lehrbetrieb zu beklagen. Ob solche Defizite auch in der Ausbildung von Journalisten bestehen, vermag ich als Jurist nicht zu beurteilen.

Sepp Kufner, Ismaning

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