Süddeutsche Zeitung

Glück:Es fällt nicht vom Himmel

Lesezeit: 3 min

Die Wirtschaftsredaktion hat sich zum neuen Jahr ein großes Thema vorgenommen: "Das große Glück". Leser haben das durchaus honoriert, wollen hier aber noch einige wichtige Ergänzungen anbringen.

"Das große Glück" vom 2. Januar:

Nur drei Dinge

Interessant ist es schon, wenn sich die Wirtschaftsredaktion der SZ federführend mit dem Thema Glück beschäftigt - und das gleich über sechs Seiten. Auch wenn dieses nur schwer zu beschreibende Gefühl aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird, am Ende bleibt der Eindruck, es geht in erster Linie um Wohlstand und Erfolg, also vor allem um die materiellen Aspekte von Glück.

Andererseits ist Reichtum auch keine Garantie für Glück. Eine materielle Sicherheit, ein Mindestmaß an Wohlstand sind also durchaus als Basis für ein zufriedenes Leben notwendig. Aber sind es nicht eher die inneren Werte, die dazu beitragen, sich glücklich zu fühlen - und zwar als Lebensgrundgefühl, über einzelne Glücksmomente wie beispielsweise die Geburt eines Kindes hinaus?

Worauf kommt es denn an? Gesundheit ist wohl das wichtigste Element. Und der Mensch ist ein soziales Wesen. Deshalb ist die Erfüllung der sozialen Bedürfnisse weit wichtiger als Grundlage für ein zufriedenes, glückliches Leben. Es geht um Freiheit und Autonomie, um Anerkennung und Wertschätzung als Mensch und seiner individuellen Fähigkeiten, um Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, um das Empfinden von hinreichender Gerechtigkeit innerhalb einer Gesellschaft, um soziale Kontakte, um Freundschaften, letztlich auch darum, Liebe zu erfahren, zu lieben und geliebt zu werden.

Und es geht um die eigene innere Haltung. Bin ich ein eher positiv gestimmter Mensch oder eher pessimistisch und ängstlich? Welche Erwartungen habe ich? Was ist für mich ein erfülltes Leben? Was kann ich selbst dazu beitragen? Wie trete ich Mitmenschen gegenüber? Wie groß ist mein Ego?

Es bedürfte nur dreier Dinge, um in Menschen den Kern für ein glückliches Leben anzulegen: Erstens Liebe und Akzeptanz bzw. die Vermittlung des Gefühls, willkommen zu sein von der ersten Stunde an und auch später in Schule, Beruf, Gesellschaft. Zweitens echte Chancengleichheit auf dem weiteren Lebensweg in all seinen Facetten. Sowie drittens eine Bildung und Erziehung, die das Ziel hat, das Potenzial eines Menschen zur Entfaltung kommen zu lassen, für ein Leben in Freiheit und Selbstverantwortung, verbunden mit Achtung und Rücksichtnahme auf das Gemeinwohl, den Mitmenschen und die Umwelt. Mehr braucht es nicht. Das aber muss die Gesellschaft leisten. Dann kann jeder selbst seines Glückes Schmied sein.

Gerhard Altschäffl, Windach

Bildungsgerechtigkeit

Interessant wäre es für uns Leser, wenn verschiedene Ressorts sich an der Frage nach dem Glück beteiligt hätten. Schon vor längerer Zeit hatte Werner Bartens bei einem Bericht über den Jahreskongress für Psychosomatik den englischen Sozialepidemiologen Richard Wilkinson zu dem Thema zu Wort kommen lassen. Dieser hatte aufgezeigt, welche Auswirkungen soziale Ungleichheit und große Unterschiede in Einkommen und Bildung auf die Gesundheit und das Befinden der Bevölkerung haben ("Zerrissen, entfremdet, isoliert" vom 28. März 2018)

. Felicitas Wilke spricht das in ihrer Übersichtsdarstellung ("Von Zufällen und Heiterkeit") durchaus an und stellt fest, dass Deutschland als reiches Land in Sachen Bildungsgerechtigkeit im Vergleich mit anderen Industrieländern nur im Mittelfeld rangiert. Nun wäre es aufschlussreich zu erfahren, ob es einen Zusammenhang zwischen Bildungsgerechtigkeit und Wohlbefinden in einer Gesellschaft gibt? Anders gefragt, können sich Mitglieder einer Gesellschaft überwiegend als glücklich empfinden, wenn das Bildungssystem, das alle erfasst, stark von Selektion und Notendruck bestimmt wird?

Nun gibt es ja einen World Happiness Report, der jährlich erscheint ("Das Glück der anderen" vom 15. März 2018). Deutschland nimmt in diesem genauso einen Mittelplatz ein (Rang 15) wie bei der Frage nach der Bildungsgerechtigkeit. Und wer führt diesen World Happiness Report an? Es sind die skandinavischen Länder. Allen voran Finnland mit "Einer Schule für alle" bis Klasse 8. Sollte es tatsächlich ein Zufall sein, dass das gemeinsame Lernen bis Klasse 8 (und länger) nicht nur bessere Leistungen erbringt, sondern Menschen auch zufriedener und glücklicher macht?

Helmut Gattermann, Merzhausen

Revolutionäres Recht

Was Nikolaus Piper im Artikel "Wo das Glück herkommt" leider übersieht, ist das wirklich Revolutionäre am Glückversprechens zu Ende des 18. Jahrhunderts. Es ist nicht das Glück - was auch immer man darunter versteht - an sich, sondern das Versprechen, dass jeder einzelne Mensch im Rahmen des Staates und seiner Verfassung das Recht hat, es persönlich zu verwirklichen. Revolutionär war dies deshalb, weil Gesellschaft bis dahin nicht als Vielzahl von Individuen verstanden wurde, die als politische Wesen zusammen den Staat bilden, sondern als Bestandteile eines Kollektivs, das "Untertanen" oder "Volk" hieß. Die Rechte dieser Untertanen und Volksgenossen hatten nicht nur hinter den Ansprüchen der Herrschenden zurückzustehen, sondern auch hinter den konventionellen Forderungen der Gemeinschaft. Ein Recht auf individuelle Glückseligkeit gab es in diesem Rahmen nur im Himmel.

Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung ist dagegen die Schrift gewordene Geburtsstunde des Individualismus, mit dem der Humanismus vollendet wurde. Nicht nur die Gattung Mensch, sondern auch der Einzelmensch wurde dadurch in seine volle Würde eingesetzt. Wir sollten uns daran erinnern, wenn wieder einmal das Recht auf persönliche Lebensgestaltung und Autonomie in Geschlechterfragen zur Diskussion steht.

Andreas Kalckhoff, Stuttgart

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Quelle:
SZ vom 19.01.2019
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