Süddeutsche Zeitung

Gerhard Schröder:Roulette mit Russland

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Die Rolle des Altkanzlers war schon länger umstritten. Doch seit der russische Oppositionelle Alexej Nawalny Schröder als ,,Laufburschen" Putins bezeichnet hat, ist die Debatte neu entfacht. Die Meinungen dazu gehen weit auseinander.

Zu " Alles egal" vom 9. Oktober und zu "Ende der Geduld" vom 8. Oktober:

Gastrecht verwirkt

Mit seiner Beschimpfung des Altbundeskanzlers Schröder als "Putins Laufjungen" missbraucht Nawalny sein Gastrecht in der Bundesrepublik auf höchst gröbliche Weise. Als Gast hat er meines Erachtens kein Recht, sich in die Innenpolitik einzumischen. Mir geben obendrein seine öffentlichen nationalistischen und fremdenfeindlichen Äußerungen sehr zu denken. Selbstverständlich verurteile ich die Giftanschläge auf ihn, zu denen sich die russische Regierung endlich klar äußern muss. Wolfgang Heinz, Bad Krozingen

Doppelmoral und Blauäugigkeit

Der Anschlag auf Nawalny ist zu verurteilen, aber längst nicht aufgeklärt. Dass die deutschen Strafverfolgungsbehörden da offenkundig nicht mit russischen Stellen zusammenarbeiten wollen, macht es auch nicht leichter. Auch in Sachen Tiergarten-Mord pflegen deutsche Offizielle wie Medien meines Erachtens eine Doppelmoral, denn die offenkundigen Morde in westlichen Demokratien an ihren erklärten Gegnern, zumal Terroristen, kann man auch bedauern, wird sie aber kaum verurteilen können. Die Aggressoren wissen, welche Risiken sie eingehen.

Wenn Gerhard Schröder auf die Karte Putin setzt, ist mir das immer noch realistischer und lieber als die gespielte Blauäugigkeit, mit der die SZ diesen sinistren Nawalny medial unterstützt. Käme der in Moskau an die Macht, würden die ohnehin in der Bevölkerung vorhandenen Strömungen zu Nationalismus, Homophobie, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit mehrheitsfähig und Staatsdoktrin. Das zu verkennen und die aktuelle russische Politik in Bausch und Bogen zu verurteilen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Diese Haltung muss wohl ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg sein.

Jürgen Scharf, Pulheim Gerhard Schröder war einer der besten Bundeskanzler, die Deutschland hatte. Mit seiner Agenda 2010 brachte er die Wirtschaft wieder in Schwung, und Angela Merkel konnte als Kanzlerin dann die Früchte dieser Arbeit ernten. Schröder war Realpolitiker und vertrat die Interessen Deutschlands. Und es ist in der Tat im höchsten Interesse Deutschlands, ein gutes Verhältnis zu Russland zu haben und auch zu dessen Präsident Putin. Und es ist meines Erachtens lachhaft, wenn behauptet wird, Putin hätte die Vergiftung Nawalnys in Auftrag gegeben und auch den Mord im Tiergarten angeordnet. Ein russischer Staatschef hat weitaus andere Aufgaben, und zudem sind solche Behauptungen durch nichts bewiesen. Deutschland will immer so ein toller Rechtsstaat sein, so hochmoralisch. Im Rechtsstaat gilt aber die Unschuldsvermutung, das heißt, so lange nichts bewiesen ist, darf auch Putin nicht des Auftragsmordes öffentlich verdächtigt werden. Peter Fendt, Marktoberdorf

Reiner Eigennutz

Es sind die Bilder, die im Kopf bleiben. Ich habe Frank-Walter Steinmeiers angeekeltes und entsetztes Gesicht, als Lawrow, nach der Annexion der Krim, in der Schweiz mit ihm Wodka trinken wollte, nicht gesehen, wie Stefan Braun schreibt. Aber ich habe Steinmeier untergehakt mit Klitschko und anderen Maidan-Demonstranten noch sehr gut vor Augen. Von Objektivität im Umgang mit dem russlandfreundlichen, aber immerhin von allen Ukrainern gemeinsam gewählten Präsidenten Janukowitsch keine Rede. Reiner Eigennutz deutscher Interessen im Namen der EU stand ihm damals ins Gesicht geschrieben. Die Quittung folgte auf dem Fuß und hat mehr als ein Menschenleben gekostet. Vielleicht hat Gerhard Schröder das ja auch gesehen und vielleicht versteht er unter "zur Vernunft bringen" nicht das Gleiche wie Nawalny und andere Putin-Gegner, die Nord Stream 2 nur zu gern für ihre Interessen nutzen würden. Nachbarschaftliche Verhältnisse sind oft schwierig. Es könnte doch sein, dass Gerhard Schröder etwas anderes nicht egal ist als Frank-Walter Steinmeier. Schön, dass der Autor so sicher ist, was dem Altkanzler "alles egal" ist? Gabi Baderschneider, Sinzing

Bizarre Nibelungentreue

Alexej Nawalny hat an ein großes Versäumnis in den deutschen Medien erinnert. Sie haben Gerhard Schröder weitgehend aus der Berichterstattung über Putin herausgenommen und ihn höchstens im Nebensatz erwähnt. Der Vorwurf, "Laufbursche" Putins zu sein, ist angesichts der bizarren Nibelungentreue Schröders zu Putin eher noch freundlich formuliert. Natürlich konnte Nawalny keine Belege zu dem Vorwurf verdeckter Zahlungen liefern; ihn deshalb zu verklagen, zeigt, wie selbstherrlich und realitätsfern Schröder handelt.

Den Medien steht es an, endlich ihre Versäumnisse nachzuholen und Schröder zu fragen, wie viel Geld er an offiziellen Zahlungen von Putin erhält, was er genau dafür tut, wofür er das Geld braucht (denn als ehemaliger niedersächsischer Abgeordneter, Ex-Aufsichtsratsmitglied von VW und Ex-Kanzler sollte seine Altersversorgung gesichert sein) und warum es ein ehemaliger Bundeskanzler überhaupt nötig hat, sich gleich nach Abwahl einem solchen Diktator anzudienen. Ebenso sollten sie Teile der SPD befragen, warum sie denn immer noch an dem Mann hängen, der ihre Partei in die politische Bedeutungslosigkeit geführt hat. Holger Sievers, Northeim

Nawalny taugt nicht als Vorbild

Nawalny fordert, Russland zu boykottieren, Putin zur Rechenschaft zu ziehen, Nord Stream 2 einzustellen, und nennt Altbundeskanzler Schröder einen "Laufburschen Putins". Die deutsche Politik, von Merkel über Habeck bis Maas, hängen an den Lippen des Kremlkritikers und versehen ihn regelrecht mit einem Heiligenschein. Gleichwohl sollten Tatsachen auseinandergehalten werden. Erstens: Auf Nawalny fand ein heimtückischer Mordanschlag statt. Dieser ist aufzuklären, und die Schuldigen sind zu bestrafen - allerdings zweifelsfrei überführte Schuldige. Daran darf nicht gedeutelt werden. Nur: Es steht derzeit gerade nicht fest, wer diesen Giftanschlag verübt hat, deshalb ist es unzulässig, so zu tun, als stünde der Täter mit Putin fest. Daran krankt es zum einen.

Zweitens: Alexej Nawalny taugt mitnichten als Vorbild, zu welchem er derzeit hochstilisiert wird. Denn er steht nicht nur für Kritik an Oligarchie und Korruption, sondern "macht offene Fremdenfeindlichkeit hoffähig", wie MDR und Deutsche Welle schon 2017 und 2018 berichteten. Nawalny behauptet ferner, durch nichts belegt, "jedes zweite Kapitalverbrechen in Moskau wird von Einwanderern begangen". Nawalny engagiert sich bei Bedarf auch beim "Russischen Marsch", einer Bewegung rechtsnationaler, rechtsextremer und offen fremdenfeindlicher Kräfte. Während er in Russland stolz auf solche Aktivitäten verweist, bagatellisiert er sie im westlichen Ausland.

Deutsche Politiker sollten zur Kenntnis nehmen, dass Alexej Nawalny zweierlei ist, das zutiefst zu bedauernde Opfer eines Giftanschlags, gleichzeitig aber auch ein mehr als fragwürdiger Politiker. Wolfram Salzer, Neustadt bei Coburg

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Quelle:
SZ vom 26.10.2020
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