Süddeutsche Zeitung

FDP:Brötchen und Blödchen

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War es kalkuliert oder doch nur Geschwätz? Christian Lindners Rede von der "Fremdenangst beim Bäcker" auf dem FDP-Bundesparteitag in Berlin hat jedenfalls viele reichlich befremdet.

"Beim Bäcker in der Schlange" und "Beistand für Lindner"vom 15. Mai:

Wohl kalkuliert

FDP-Chef Christian Lindner hat seinen Satz mit dem gebrochen Deutsch sprechenden Kunden beim Bäcker in der Schlange nach meiner Meinung wohl kalkuliert. Er merkt dabei nicht, dass er mit solchen Sprüchen nicht von der AfD Wähler gewinnt, sondern deren Geschäft betreibt. Der Regierung hat er sich verweigert, weil er nicht schlecht regieren wollte. Gutes Opponieren muss er auch noch lernen. Traurig für eine Partei, die einmal große Liberale wie Hildegard Hamm-Brücher und Gerhart Baum zu ihrem Spitzenpersonal zählte. Winfried Wolf, Hamburg

Das ist nicht fair

Ich kenne die "Originalversion" der Bäcker-Brötchen-Geschichte: Ein Japaner wollte in einer Bäckerei ein Brötchen kaufen. Aber stattdessen hat er eine Blondine bekommen, weil er "Blödchen" gesagt hat.

Damit wird verspottet, dass einige Ostasiaten r und l nicht unterscheiden können, genauer gesagt, dass im Japanischen r und l Allophone eines Phonems sind. Aber was können wir dagegen tun, dass das phonetische System unserer Muttersprache so strukturiert ist? Können Japaner deswegen anfangs nur gebrochen Deutsch, weil sie intellektuell den Deutschen unterlegen sind? Andererseits machen Deutsche, die Japanisch lernen, immer wieder Fehler, die bei uns nicht einmal ein dreijähriges Kind machen würde. Ist es deswegen so, weil die Deutschen intellektuell den Japaner unterliegen sind? Natürlich nicht. Es ist so, weil beim Lernen von Fremdsprachen immer die Muttersprache interferiert. Jeder, der eine Sprache gut spricht, hat einmal als bloßer Anfänger damit angefangen. Natürlich glaube ich nicht, dass Herr Lindner die Originalversion kannte und sich darum Gedanken machte, was einige Ostasiaten mit solch einer Bäcker-Geschichte assoziieren. Aber die Gebrochenheit einer Fremdsprache, die Anfangsphase des Lernens einer Fremdsprache zu verspotten, wenn nur andeutungsweise und knapp erkennbar, ist nicht fair. Dr. Noriyo Hoozawa-Arkenau, Mannheim

Gefährliche Aussage

Die Äußerung von FDP-Chef Christian Lindner über Fremdenangst beim Bäcker klingt sehr befremdlich. Demnach scheint es so zu sein, dass Menschen sich von Leuten, die aus welchen Gründen auch immer gebrochenes Deutsch sprechen, verunsichert fühlen, erst recht wenn es sich dabei gerade nicht um Programmierer handelt, die der deutsche Markt benötigt. Was soll das bedeuten? Wer kein Biodeutscher ist, soll per se eine Gefahr darstellen?

So eine Aussage soll Denkweisen stärken, die in den Migranten und Flüchtlingen die Ursache aller Probleme sehen. Sie bestätigt die Suche nach einfachen Lösungen für komplexe Phänomene, was typisch für alle populistischen und rechten Haltungen ist. Lindner weiß genau, dass bei vielen Bürgern die Sorge um die Sicherheit im Vordergrund zu stehen scheint. Er ist in der Tat nicht der Einzige, der damit Konsens und Zustimmung sucht. In Wirklichkeit sollten sich die Menschen viel mehr um die von der FDP getriebene neoliberale Politik fürchten, die gewiss viel gefährlicher und destruktiver ist als gebrochenes Deutsch sprechende Ausländer.

Viel wichtiger wäre es als Politiker, sich zu überlegen, wie Einwanderer gut und schnell Deutsch lernen können. Solche Aussagen gefährden das multikulturelle Zusammenleben, die Integrationsbemühungen vieler Menschen und Institutionen und eine fortschrittliche Gesellschaft, wie viele sie anstreben. Norma Mattarei, München

Schwer zu beurteilen

Der Gedanke muss für den Anhänger einer turbokapitalistischen Weltordnung fürchterlich sein: nicht unterscheiden zu können, ob man mit einem brauchbaren, hochgebildeten indischen Entwickler von künstlicher Intelligenz um Semmeln ansteht oder nur mit einem einfachen und deshalb für Christian Lindner scheinbar eher wertlosen geflohenen syrischen Landarbeiter. Die Beurteilung, ob es sich nur um eine unüberlegte Aussage, eine schnell mal hingeworfene flapsige Bemerkung oder eine wohlkalkulierte Provokation handelt, fällt immer schwerer. Es ist auf Anhieb leider oft nicht mehr erkennbar, ob die mitunter rassistischen und menschenverachtenden Sprechblasen einfach nur von tumben Dumpfbacken herrühren oder von Führungsmitgliedern einer politischen Partei. Und da machen einem die gut verständlichen und an unselige Zeiten erinnernden Dobrindts und Gaulands in den Führungszirkeln und Parlamenten deutlich mehr Sorgen als die gebrochen deutsch parlierenden Namenlosen beim Bäcker. Manfred Jagoda, Ismaning

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Quelle:
SZ vom 24.05.2018
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