Süddeutsche Zeitung

E-Roller:Spaßfaktor mit unabsehbaren Folgen

Lesezeit: 4 min

Der Elektro-Roller darf fahren. SZ-Leser sehen das mit gemischten Gefühlen. Manche fürchten noch mehr Gedränge im oft dichten Verkehr und sehen eine erhöhte Unfallgefahr. Hat der Verkehrsminister die Konsequenzen unterschätzt?

Zu "Freie Bahn" vom 18. Mai und "Teile und tausche" vom 17. Mai:

Regeln kommen bei uns zuerst

Ich lebe in Fürstenfeldbruck, einer großen Kreisstadt im Münchner Umland. Ab und zu besuche ich meine Mutter, die in München-Schwabing lebt. Mit eigenen Augen habe ich im letzten halben Jahr genau drei E-Roller wahrgenommen, davon zwei besetzt mit Kindern, die gespielt haben. Im Lauf meines 60-jährigen Lebens habe ich drei Wellen wahrgenommen, in denen Roller mehr oder weniger wichtig waren. Das Gerät selbst ist wahrlich nicht neu.

Die Roller haben sich meist nicht langfristig durchgesetzt, blieben eben immer Spielzeug. Da mussten immer die Hersteller für entsprechendes Marketing sorgen. Die Werbung erledigen jetzt ja kostenlos Minister Scheuer - und auch die Presse. Schon weit bevor irgendwelche Heerscharen solcher Rollerfahrer unsere Bürgersteige angeblich unsicher machen, soll Streit über deren Verkehrsbedeutung geregelt werden. Eine bessere kostenlose Reklame kann sich kein Hersteller und/oder Vertreiber wünschen. Bund und Kommunen bekommen zwar die anstehenden Fragen nicht in den Griff, wie aktuell der Radverkehr zukünftig besser und sicherer zu gestalten wäre und haben angeblich auch kein Geld dafür. Aber die Angst vor dem Überschwappen angeblicher Trends aus Amerika, die kriegen wir schon mal geregelt.

Martin Haisch, Fürstenfeldbruck

Unsinnige Verkaufsförderung

Von der Windel ans Tablet, mit dem Smartphone auf den E-Roller! Was soll denn dieser Unsinn? Kinder mit 14 Jahren sollen sich bewegen! Da sieht man mal wieder, worauf es ankommt: nicht um die Entlastung des Straßenverkehrs, die E-Roller sollen auf Teufel komm raus verkauft werden. Und nachdem heutzutage jeder alles sofort haben muss, wird man den Kindern vielleicht noch weismachen, wie gesund das alles ist.

Marion Weber, München

Ein E-Roller ist kein Tretroller

Es ist nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, dass der Begriff E-Roller mit der Einführung der Verordnung zur Benutzung der E-Fahrzeuge auf öffentlichen Wegen auch eindeutig festgelegt wird. In mehreren Berichten der SZ, wie auch in anderen Medien, wird in ein und demselben Artikel für das gleiche Gerät fälschlicherweise sowohl der Begriff E-Roller wie auch E-Tretroller verwendet, obwohl es sich dabei um unterschiedliche Fahrzeuge handelt, je nach Antriebsart.

Bei einem (einfachen) Roller, bei uns früher Radlrutsch genannt, steht man mit einem Fuß auf einem starren Brett, während man sich mit dem Fuß des anderen Beines auf einem festen Untergrund abstößt und damit den Antrieb bewerkstelligt. Bei einem Tretroller, der heute kaum noch bei Kindern gesehen wird, steht man mit beiden Füßen auf einer Wippe, die durch Treten auf und ab bewegt wird. Die beim Treten aufgewendete Energie wird von der Wippe über eine Zahnstange zum Antrieb auf das Hinterrad übertragen. Dadurch entsteht die Fortbewegung. Ein elektrischer Antrieb über die Wippe des Tretrollers wäre vielleicht (für einen Tüftler) machbar, aber Unsinn. Deshalb ist auch der Begriff E-Tretroller nicht nur falsch, sondern Schmarren!

Wolfgang Rehkatsch, Neuried

Wie wäre es mit E-Flitzer?

Sie verwenden für ein heute gern benutztes Fahrzeug abwechselnd drei Wörter: E-Roller, E-Tretroller, E-Scooter. Als Junge besaß ich - wie viele andere Kinder - das Fahrzeug ohne Motor. Es sah aus wie das heute oft im Bild dargestellte und hieß einfach nur "Roller". Einige Kinder besaßen auch ein wesentlich aufwendigeres, größeres und teureres Fahrzeug, das man "Tretroller" nannte. Es hatte über dem Standbrett eine Art Wippe, befestigt am hinteren Ende mit einer Feder darunter und mit einem Antrieb zum hinteren Rad. Man stand auf der Wippe und trat sie ständig wieder nach unten, ohne mit dem Fuß die Straße berühren zu müssen. Der sach- und geschichtsgerechte Name für das gemeinte Fahrzeug ist also "E-Roller". Will man aber ein neues Wort verwenden, wäre auch "E-Flitzer" geeignet.

Prof. Dr. Ing. Robert Seckelmann, Schwelm

Sorge vor Zusammenstößen

Nach dem Motto "Jedem Tierchen sein Pläsierchen" sei dem Privatmann Andreas Scheuer seine kindliche Freude am Rollerfahren gegönnt. Aber dem Verkehrsminister Scheuer kann man es nicht durchgehen lassen, wenn er öffentlich unverantwortlich und heuchlerisch von sich gibt, dass durch die massive Einführung von E-Scootern keinesfalls mehr schwerwiegende Zusammenstöße von Verkehrsteilnehmern passieren könnten als bisher. Wie will Herr Scheuer es denn hinbekommen, dass "neue Formen der Fortbewegung" niemanden gefährden - egal ob jung oder alt? Es gibt da eine populäre Relativitätstheorie der Physik: Wenn zwei Körper gleich welcher Art sich relativ zueinander bewegen und zusammenstoßen, geht etwas kaputt, und Menschen können mehr oder minder ernste Schäden erleiden - die alten mehr als die jungen.

Prof. Dr.-Ing. Ernst Terhardt, München

Vorlage für die Tuningszene

Jeder kann sich ausrechnen, dass die E-Roller vor allem ältere Menschen, Menschen mit Behinderung, schlichtweg die Schwächeren, in Angst und Schrecken versetzen werden. Die zunehmende Anzahl von Leuten, die meinen, dass für sie weder Regeln noch Vorschriften gelten, sitzen zusammen mit der Tuningszene doch längst in den Startlöchern, um die neue Freiheit mit dem Roller auf ihre Art und Weise auszuleben. Die fehlende Kennzeichnungspflicht der Fahrzeuge kommt ihnen dabei voll entgegen. Bald werden die ersten Videos in Youtube zeigen, wie man mit so einem Fahrzeug locker auf Tempo 70 oder darüber kommt. Dann gilt für die schwächeren Verkehrsteilnehmer nur noch "Rette sich, wer kann!". Das Chaos ist hier programmiert, und die Unfallaufnahmen können sich auf eine noch nie dagewesene Hochkonjunktur einstellen. E-Tretroller in Deutschland, bescheuerter kann es einfach nicht gehen. Aber das ficht den Verkehrsminister, Spitzname Roller-Andi, sicher nicht an.

Claus Reis, Schwabach

Projekt nicht zuende gedacht

E-Scooter bedeuten eine Gefahr für Fußgänger, weswegen sie auf Radwegen fahren müssen. Und wo es die nicht gibt? Dann fahren sie auf der Straße, wo sie ihr eigenes Leben riskieren. Dann müssen wir eben mehr Radwege bauen. Hatten die Verkehrsminister bis zu Herrn Scheuer nicht genügend Zeit, um hierfür vernünftige Pläne zu entwickeln und umzusetzen? Mal sehen, ob sich die Lobby der E-Scooter-Fahrer gegen die Automobilisten besser durchsetzen kann.

Das neue Verkehrsmittel soll ja der große Renner sein. So ein elektrisch betriebenes Vehikel ist ja auch viel bequemer, als den von der Natur zur Verfügung gestellten Bewegungsapparat - man nennt es im allgemeinen Sprachgebrauch auch "Beine" - zu nutzen. Auf dem E-Roller ist es zwar genauso blöd, wenn's regnet; so richtig viel kann man auch nicht transportieren, aber Hauptsache, der "Spaßfaktor" stimmt, wie es ja sogar aus dem Ministerium hieß.

Die Themen Ressourcenverschwendung (Herstellung, Betrieb) und Entsorgung der defekten Geräte, sinnvolle Abstellplätze und Sicherheit der Nutzer und anderer betroffener Verkehrsteilnehmer sind Fragen, die für das Verkehrsministerium wohl nicht so relevant sind. Da wäre etwa auch der Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung mit der Forderung nach gegenseitiger Rücksichtnahme und angepasstem Verhalten im Verkehr. Zudem: Wie will der Staat, der ein Verbot für Kinder unter 14 verhängt, die Einhaltung dieser Regel kontrollieren?

Die Zulassung von Fahrzeugen vor der Sicherstellung geeigneter Verkehrswege erinnert mich an den Piloten, der ein Flugzeug startet, ohne zu wissen, ob es im Zielgebiet eine Landebahn gibt.

Thomas Spiewok, Hanau

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4469376
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.06.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.